Das große Haus (German Edition)
Bitte aufstehen
Sprechen Sie mit ihm.
Euer Ehren, im Winter 1972 haben R und ich Schluss gemacht, oder besser gesagt, er hat mit mir Schluss gemacht. Seine Gründe waren unklar, aber es lief darauf hinaus, dass er ein zweites, ein heimliches Ich habe, ein feiges, verabscheuungswürdiges Ich, das er mir niemals zeigen könne, und dass er fortgehen müsse wie ein krankes Tier, bis er sich gebessert und auf einen Stand gebracht habe, auf dem er Gesellschaft verdiene. Ich habe mit ihm gerechtet – ich sei nun fast zwei Jahre seine Freundin, seine Geheimnisse seien meine Geheimnisse, wenn etwas Grausames oder Feiges in ihm wäre, müsste ich es ja wohl wissen –, aber es war sinnlos. Drei Wochen nachdem er ausgezogen war, bekam ich eine Postkarte (ohne Absender) von ihm, auf der stand, er habe das Gefühl, unsere Entscheidung, wie er es nannte, so hart sie auch sein möge, sei richtig gewesen, und ich musste mir eingestehen, dass unsere Beziehung endgültig vorbei war.
Dann wurde alles eine Weile schlechter, bevor es wieder besser wurde. Ich will das nicht weiter vertiefen, als indem ich sage, dass ich nicht mehr vor die Tür ging, nicht einmal zu meiner Großmutter, und ich ließ auch niemanden herein. Das Einzige, was half, war seltsamerweise, dass es draußen stürmte und ich unentwegt mit diesem komischen kleinen Schraubenschlüssel aus Messing, mit dem man die Bolzen an beiden Seiten der antiken Fensterrahmen festzieht, durch die Wohnung rennen musste – wenn die Halterungen sich nämlich bei windigem Wetter lockerten, quietschten die Fenster. Es gab sechs Fenster, und sobald ich die Bolzen an einem festgezogen hatte, fing es durch ein anderes an zu heulen, also rannte ich mit dem Messingschlüssel hin, und dann hatte ich vielleicht eine halbe Stunde Ruhe auf dem einzigen Stuhl, den es noch in der Wohnung gab. Eine Weile zumindest schien es, als bestünde die Welt nur aus diesem Dauerregen und der Notwendigkeit, die Bolzen festzuziehen. Als der Regen sich endlich verzog, machte ich einen Spaziergang. Alles war überflutet, und von diesem stillen, spiegelnden Wasser ging etwas Ruhiges aus. Ich wanderte lange, mindestens sechs oder sieben Stunden, durch benachbarte Viertel, in denen ich noch nie gewesen war und in die ich seither nie zurückgekehrt bin. Als ich nach Hause kam, war ich erschöpft, aber ich fühlte mich von etwas gereinigt.
Sie wusch das Blut von meinen Händen und gab mir ein sauberes T-Shirt, womöglich ihr eigenes. Sie hielt mich für Ihre Freundin oder gar für Ihre Frau. Bisher ist niemand für Sie gekommen. Ich werde nicht von Ihrer Seite weichen. Sprechen Sie mit ihm.
Nicht lange danach wurde Rs Flügel durch das große Wohnzimmerfenster hinaus und nach unten befördert, auf die gleiche Weise, wie er hereingekommen war. So verschwand das letzte Stück seiner Besitztümer und schuf Fakten, denn solange das Klavier da gewesen war, hatte es sich angefühlt, als wäre er nicht wirklich weg. In den Wochen, die ich allein mit dem Klavier lebte, bevor sie kamen, um es abzuholen, habe ich es manchmal im Vorbeigehen gestreichelt, genauso wie ich R gestreichelt hatte.
Ein paar Tage später rief mich ein alter Freund namens Paul Alpers an, um mir zu erzählen, was er geträumt hatte. In dem Traum waren er und der große Dichter César Vallejo in einem Haus auf dem Lande, das Vallejos Familie schon gehört hatte, als er noch ein Kind gewesen war. Es war leer, und alle Wände waren bläulich weiß gestrichen. Das Ganze machte einen sehr friedlichen Eindruck, sagte Paul, und im Traum habe er Vallejo glücklich geschätzt, sich zum Arbeiten an einen solchen Ort begeben zu können. Es sieht aus wie der Vorhof zum ewigen Leben, sagte Paul zu ihm. Vallejo hörte ihn nicht, und er musste es zweimal wiederholen. Schließlich verstand der Dichter, der in Wirklichkeit mit sechsundvierzig Jahren, genau wie von ihm selbst vorausgesagt, mittellos in einem Regensturm gestorben war, und nickte. Bevor sie das Haus betraten, hatte Vallejo Paul eine Geschichte erzählt, wie sein Onkel immer einen Finger in den Matsch tunkte, um sich ein Zeichen auf die Stirn zu machen – irgendwas mit Aschermittwoch. Und dann, sagte Vallejo (sagte Paul), machte er etwas, was ich nie verstanden habe. Zur Veranschaulichung tunkte Vallejo zwei Finger in den Matsch und malte Paul einen Oberlippenbart. Beide lachten. Den ganzen Traum hindurch, sagte Paul, sei das Erstaunlichste das heimliche Einvernehmen zwischen ihnen
Weitere Kostenlose Bücher