Die 39 Zeichen 08 - Entfuehrung am Himalaya
rief sie fröhlich, setzte aber hinzu: »Ich wünschte, die arme Madison könnte heute dabei sein.«
»Nein, tust du nicht!«, donnerte Eisenhower. »Du freust dich wie eine Schneekönigin, dass deine Schwester die Höhenkrankheit hat. Das wirst du ihr bis ans Ende ihrer Tage vorhalten! «
»Sie lebt ja noch«, verteidigte sich Reagan. »Ein paar Tage im Sauerstoffzelt und sie ist so gut wie neu.«
»Spar dir deinen Atem«, riet ihr Eisenhower. »Du wirst ihn noch brauchen. Was jetzt kommt, wird auch als Todeszone bezeichnet. In über 7600 Metern Höhe stirbt man langsam – eine Körperzelle nach der anderen!«
war für seinen Sohn und seine Tochter die beste Nachricht des Tages. Die Holts liebten die Gefahr. Und gefährlicher als auf dem Südsattel konnte es kaum werden, denn wer dort einen falschen Schritt machte, den führte der nächste mehr als 1500 Meter senkrecht in die Tiefe.
»Sauerstoff!«
Die drei setzten die Masken über Nase und Mund und machten sich auf den Weg zur Gipfelpyramide des Everest . Ihre Steigeisen kratzten über die nackten Felsen.
Der Wind war unvorstellbar kalt und die ungewohnte Höhe raubte einem den Atem, jeder Schritt war mühevoll und schmerzhaft. Doch Eisenhower Holt hätte ebenso gut durch
einen Hyazinthengarten tanzen können. Vergessen war die Erniedrigung, in West Point zum Schwächling gestempelt worden zu sein. Vergessen war der Mythos, dass es den Holts an Intelligenz mangelte, um mit dem Rest ihrer Familie mitzuhalten. In dieser Nacht griffen sie nach den Sternen. Und niemand, egal, ob Cahill oder nicht, konnte sich zwischen sie und die Spitze der Welt stellen.
Sie hatten den Aufstieg zur Gipfelpyramide noch nicht erreicht, als ein anderes Team an ihnen vorbeizog. Vier Sherpas, das waren die ausdauernden Himalaja-Führer, die im Tal Khumbu auf nepalesischer Seite lebten, begleiteten eine Gestalt, die eine Art Weltraumanzug trug.
Begleiteten? Nein, man könnte schon sagen, sie trugen sie! Der Hightechanzug spendete Sauerstoff und hielt den Luftdruck konstant auf Meeresniveau. Jemand, der nicht an die dünne Luft des Everest gewöhnt war, wäre andernfalls innerhalb von Minuten ohnmächtig geworden.
Der Bergsteiger im Raumanzug drehte sich um und winkte den entgeisterten Holts fröhlich zu. Sein Gesicht war durch das Plexiglasvisier des Helms gut sichtbar.
Es war niemand anderes als Ian Kabra.
Der kleine Flughafen von Lhasa war mit dem von Peking nicht zu vergleichen und auch technisch nicht gerade auf der Höhe der Zeit. Er war sogar noch kleiner als der von Chengdu, wo Amy und Nellie auf ihre Reisepapiere nach Tibet gewartet und eine unruhige Nacht auf der Bank verbracht hatten.
Da es keine Flugsteige gab, verließen die Passagiere das Flugzeug über eine fahrbare Treppe, die direkt auf das Rollfeld führte. Als sie in das Flughafengebäude kamen, war Nellie,
die ihren Rucksack und Saladins Katzenbox schleppte, völlig außer Atem.
»Mannomann, wenn dieser Wettbewerb vorbei ist, muss ich wieder anfangen zu trainieren. Ich bin total außer Form!«
»Daran liegt es nicht«, erklärte ihr Amy, die ebenfalls nach Atem rang. »Es ist die Höhe. Lhasa liegt auf über 3500 Metern Höhe, Tingri sogar noch höher. Es ist nicht so gefährlich wie auf dem Everest , aber wir spüren schon die Auswirkungen.«
Nellie sah sie besorgt an. »Könnten wir denn – du weißt schon – richtig krank werden?«
»So lange müssen wir hoffentlich gar nicht bleiben. Im Führer steht, dass es hilft, wenn man viel trinkt. Am schlimmsten ist der Wassermangel.
»Ich werd’s versuchen«, erwiderte Nellie. »Aber erklär das mal Saladin. Er nörgelt sowieso schon die ganze Zeit rum. Das gibt ihm wahrscheinlich endgültig den Rest.«
Bevor sie sich am Taxistand einreihten, um nach einem eher ungewöhnlichen Reiseziel zu fragen, machten sie noch einen kurzen Zwischenstopp bei der nächsten Telefonzelle. Leider gab es keine neue Nachricht von Dan.
Amy hatte befürchtet, dass es schwierig sein würde, in das kleine Dorf Tingri zu gelangen, das etwa zwei Stunden von Lhasa entfernt lag. Doch am Flughafen wimmelte es nur so von Taxis, deren Fahrer auf der Suche nach Kunden waren. Als Nellie für die Fahrt 300 US-Dollar bot, entfachte sie damit einen Preiskrieg unter den Fahrern.
Bald waren sie mit dem Fahrer unterwegs, der das günstigste Angebot gemacht hatte, einem stets lächelnden jungen Mann, der wenig Englisch sprach. Seinem Ausweis auf dem Armaturenbrett zufolge bestand sein Name
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