Die 39 Zeichen 08 - Entfuehrung am Himalaya
auch kaum noch aufwärts, da der Pilot versuchte, den Hubschrauber direkt über dem Gipfel schweben zu lassen. Plötzlich wurden sie von einer Eiswolke eingehüllt,
die die Welt um sie herum vollkommen verschwinden ließ.
Ein plötzliches Absacken und heftiges Wackeln ließ die beiden Cahills entsetzt aufschreien.
»Was ist passiert?«, schrie Dan.
»Ihr wolltet doch zum Gipfel. Genau dort sind wir«, erklärte ihm der Pilot. Er deutete auf den Höhenmesser: 8848 Meter. Einen höheren Landeplatz gab es nicht – jedenfalls nicht auf der Erde.
»Wir … wir haben es geschafft?«, stammelte Amy ungläubig. Sie hatte schon viel weiter unten erwartet, am Berg zu zerschellen.
» Vite ! Beeilt euch!«, befahl der Pilot. »Wir haben höchstens fünf Minuten! Ich kann den Motor nicht abstellen, weil er womöglich nicht wieder anspringen würde!«
Amy und Dan verschwendeten wertvolle Sekunden, als sie umständlich die Gurte lösten und sich aus dem A-Star quetschten. Sie hatten nie erwartet, dass sie es so weit schaffen würden. Deshalb hatten sie auch keinen Plan, was sie nun tun wollten.
Die Suche nach den Zeichen hatte sie zu fantastischen Orten geführt, doch der Gipfel des Mount Everest überstieg buchstäblich alles. Die Kälte war unbeschreiblich und der Wind peitschte unerbittlich auf sie ein. Sie mussten vom Hubschrauber wegkriechen, um nicht in die Rotorblätter zu geraten. Trotz der Sauerstoffversorgung schnappten sie vor Anstrengung nach Luft, die schlicht nicht da war.
Doch nichts konnte Amy von der Großartigkeit des Ortes ablenken. »Alles ist unten!«, rief sie verwundert aus. »Es gibt kein Oben mehr! Sogar die Wolken sind unter uns!«
Die Spitze der Welt! Keine noch so gründliche Recherche hätte sie auf diesen spektakulären Ort vorbereiten können. Der Himmel war in ein unglaubliches, unnatürlich kräftiges Kobaltblau getaucht und um sie herum erhoben sich gewaltige Gipfel. Doch dieser kleine Fleck, auf dem sie standen, war der höchste von allen. Selbst der 8516 Meter hohe Gipfel des Lhotse schien weit unter ihnen zu liegen.
Als Dan den Schnee unter seinen Schuhen knirschen spürte, rief er dem Piloten zu: »Wenn Sie uns hier zurücklassen, ist der Typ am Telefon bestimmt stinksauer!« Auch wenn er keine Ahnung hatte, wer »der Typ« eigentlich war. Ganz sicher war es nicht Nellies Onkel, doch seine Macht und sein Einfluss standen außer Frage.
»Ist das zu glauben, dass wir wirklich hier sind?« Amy versuchte, den lautstarken Wind zu übertönen.
»Hammermäßig!« Dan riss sich vom Ausblick los und konzentrierte sich auf den Gipfel. Was er sah, erschütterte ihn. »Das ist ja die reinste Müllhalde!«
Ein Durcheinander aus bunten buddhistischen Gebetsfahnen schlug wild im Sturm, doch es waren auch Dutzende anderer Flaggen da. Überall lagen leere Sauerstoffflaschen herum und unter dem Schnee verbarg sich eine merkwürdige Sammlung an allem möglichen Schnickschnack, vom gerahmten Familienfoto über Schmuckstücke bis hin zu Stofftieren.
Dan war fassungslos. »Wer hat denn das ganze Zeug hier raufgeschafft?«
»Das sind Souvenirs«, erklärte Amy atemlos. »Jeder Bergsteiger will etwas am Gipfel zurücklassen. Die Frage ist nur, was hat Mallory hiergelassen?«
Dan hob ein Medaillon auf und öffnete es. Zum Vorschein kam das Foto eines fetten Babys. »Woher wissen wir, was von dem Kram hier das Zeichen ist? Wir haben nur fünf Minuten, Amy! Jetzt wahrscheinlich nur noch vier!«
Amy dachte nach. »Mallory war als Erster hier oben, also muss das, was er mitgebracht hat, ganz unten liegen. Wir müssen graben.«
Sie begannen, den dichten, mit allem möglichen Firlefanz durchsetzten Schnee zur Seite zu räumen. Weiter unten war er noch ein bisschen fester und Amy musste einen großen Bilderrahmen als Schaufel zu Hilfe nehmen, während Dan mit einer leeren Sauerstoffflasche den Schnee auflockerte. Zum Glück gab es keine größeren Eisplatten. Das war dem Jetstream zu verdanken, der dem Schnee überwiegend die Feuchtigkeit entzog.
In dieser Höhe war jede Bewegung so anstrengend wie ein Ironman-Triathlon. Innerhalb von Sekunden keuchten und husteten beide heftig. Der menschliche Körper ist nicht dafür gemacht, unter solchen Bedingungen zu überleben, geschweige denn zu arbeiten. Amys Gehirn schrie förmlich nach Sauerstoff: Sie sah immer schlechter und ihre Konzentration nahm auch ab. Auf dem Everest konnte geistige Erschöpfung ebenso tödlich sein wie körperliche.
»Wenn wir noch
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