Die 50 Besten Stresskiller
Ampel wieder zurück. Drei Minuten vor acht. Um acht Uhr haben Sie Ihren ersten Termin. Wenn von jetzt an alles glatt liefe, wären Sie um fünf nach acht da. Sie beginnen leicht zu schwitzen und bemerken dieses leichte Pochen in den Schläfen. Wenn Sie nicht bald eine Kopfschmerztablette nehmen, wird sich das Ganze zu einer handfesten Migräne entwickeln.
Eine Minute vor acht. Die Ampel springt wieder auf Grün. In der von rechts einmündenden Nebenstraße ist ebenfalls eine Autoschlange. Der Fahrer des ersten Autos macht Ihnen ein Zeichen, dass Sie ihn vorlassen sollen, und fährt an. Sie schütteln den Kopf. Diese Ampelphase müssen Sie erwischen, sonst werden Sie sich noch mehr verspäten. Sie lassen es darauf ankommen und drücken aufs Gaspedal. Sie haben Vorfahrt. Der andere wird schon abbremsen. Tut er aber nicht.
Ein lauter Knall, eine Erschütterung: Der andere Fahrer ist Ihnen vorn rechts in den Kotflügel gefahren. Jetzt steigt er wutentbrannt aus, rennt auf Sie zu. Sie haben Ihre Tür kaum geöffnet, da brüllt er Sie auch schon an, Sie hätten ihm ein Zeichen gegeben (was nicht stimmt), und er habe daraufhin gedacht, Sie würden ihn reinlassen.
Blenden wir uns an dieser Stelle einmal aus. Stress? Ganz sicher. Guter Stress? Wohl kaum. Was genau heißt das? Was ist in Ihrem Gehirn und in Ihrem Körper passiert, als Sie diese, zugegebenermaßen, recht unangenehme Szene durchlebt haben?
Das Stresssystem ist, evolutionsgeschichtlich betrachtet, ein sehr alter Bestandteil unseres Gehirns und unseres Körpers. Die wichtigsten Bestandteile sind
der Hypothalamus und die Hirnanhangsdrüse (Hypophyse), die in den Tiefen unseres Gehirns nahe der Schädelbasis liegen und schon bei Fröschen vorkommen;
die beiden Nebennieren, welche die Hormone Adrenalin und Cortisol produzieren.
Dieses System nimmt fortwährend sogenannte Stressoren wahr, also Stressauslöser aus der Umwelt, die dem Gehirn über die Sinnesorgane mitgeteilt werden (äußere Stressoren). Unsere Großhirnrinde hat außerdem die Fähigkeit, sich diese Stressoren auch vorzustellen, sie quasi also selbst zu erzeugen (innere Stressoren).
In unserer kleinen Geschichte von eben kommen gleich mehrere solcher äußeren und inneren Stressoren vor:
der nicht gepackte Ranzen der Tochter (äußerer Stressor)
das Warten an der Ampel und das Nichtanfahren des Vordermanns (äußerer Stressor)
die Vorstellung, welchen Ärger es geben könnte, zu spät zu kommen (innerer Stressor)
der Unfall (äußerer Stressor)
das aggressive Auftreten des Unfallgegners (äußerer Stressor)
Führen diese Stressoren automatisch zu Stress? Man ist geneigt, diese Frage zu bejahen. Wer würde in der beschriebenen Situation ganz und gar ruhig bleiben können? Bis vor Kurzem haben das auch Wissenschaftler so gesehen: Der Stressor wird im Großhirn wahrgenommen, die Information über Hypothalamus und Hypophyse an die Nebennieren weitergeleitet, die die Stresshormone Adrenalin und Cortisol ausschütten. Diese Hormone führen zu einer Blutdrucksteigerung (Folge: Kopfschmerzen), zu einer Aktivierung der Schweißdrüsen (Folge: Schwitzen), zu einer Erhöhung der Atemfrequenz, des Blutzuckerspiegels und zu vielen anderen Veränderungen mehr. Das Ganze nennt man dann Stressreaktion.
Diese Stressreaktion ist es, die wir spüren und als Stress wahrnehmen. Dabei gilt: Ein schwacher Stressor (Ampel) führt zu einer schwachen, ein starker Stressor (Unfall plus Aggression) zu einer starken Stressreaktion.
Die Forschung hat in den letzten beiden Jahrzehnten jedoch eindeutig gezeigt, dass es in unserem Gehirn keineswegs so einfach abläuft. Wenn unsere Großhirnrinde nämlich einen Stressor wahrnimmt, verarbeitet sie ihn zunächst, bevor sie ihn an die niederen Hirnregionen wie den Hypothalamus weitergibt. Sie bewertet ihn. Sie verstärkt ihn oder schwächt ihn ab. In genau diesen Verarbeitungsprozess können wir eingreifen – und selbst angesichts starker Stressoren relativ gelassen bleiben.
Einige Menschen sind Naturtalente auf diesem Gebiet – ihnen würde es gelingen, bis zum Ende unserer Geschichte die Nerven zu behalten. Sie sind jedoch die Ausnahme. Die meisten von uns neigen dazu, die auf uns einwirkenden Stressoren überzubewerten und »sich Stress zu machen«, wie es ganz richtig heißt.
Diese Menschen – und die Leser dieses Buches werden wohl zu dieser Kategorie zählen – müssen ihr Stressoren-Verarbeitungssystem trainieren und lernen, die Stressoren abzumildern, sie zu
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