Die Abenteuer des Röde Orm
verloren, einem anderen war die Wange von einem Speer aufgerissen, einem dritten war die Nase zerschmettert, und auch die übrigen waren von Waffen gezeichnet. Die am meisten Beschädigten beschuldigten nun ihren Vater, er habe sie durch sein Geschwätz zu Übermut verlockt, denn sie hätten sich darauf verlassen, daß ihnen nichts mehr geschehen könne. Die anderen aber widersprachen, denn der Alte habe nicht mehr verheißen, als daß sie lebendig wieder heimkommen würden; von Wunden und Kratzern habe er nichts gesagt. Fast wäre es zwischen den Brüdern zu einer Schlägerei gekommen, aber Orm und Toke beruhigten sie mit klugen Worten, und die Fahrt ging weiter, ohne daß sich noch irgend etwas ereignete.
Von Ösyssla bis heim zur Flußmündung hatten sie gutes Segelwetter, und auf dieser Fahrt wurde jedem Mann an Bord sein Anteil am Silber zugemessen. Orm stellte alle zufrieden, denn das Los, das er jedem bestimmte, war größer, als man hatte erwarten können.
Eines Morgens bei Tagesanbruch, als die Männer noch schliefen und Toke am Steuer stand, saß Orm in düsterer Stimmung neben ihm.
»Die meisten würden an deiner Stelle recht vergnügt sein«, sagte Toke. »Alles ist gut gegangen, du hast großen Reichtum gewonnen, und bald sind wir daheim.«
»Mich hat Unruhe gepackt«, sagte Orm. »Es ist das Gold, das mich bedrückt.«
»Wie kann denn das dich bedrücken?« fragte Toke. »Du bist nun so reich wie ein König, und Könige pflegen ihres Reichtums wegen nicht gerade den Kopf hängen zu lassen.«
»Für mich ist es zu viel«, sagte Orm düster. »Du und Olof sollt euer reichliches Teil davon haben, aber es ist dennoch zu viel. Ich habe den Männern weisgemacht, daß nur allerhand Weiberkram in den Truhen stecke. Und dafür wird mich ein Unglück treffen.«
»Du machst dir allzufrüh Sorgen«, sagte Toke. »Niemand weiß, was in den Kisten ist; mag sein, es ist ebenfalls Silber. Und es war klug, von Weiberkram zu sprechen, das hätte auch ich getan; denn auch die Besten werden leicht wilden Sinnes, wenn sie Gold in der Nähe wissen.«
»Nun will ich etwas sagen, und Gott möge es hören«, sagte Orm. »Ich werde eine der Truhen öffnen, und ist Gold darin, so verteile ich es an die Männer. Von den drei Kisten, die dann noch übrig sind, sollst du die eine haben und Olof die andere, und die dritte behalte ich.
Und nun, da ich das gesagt habe, ist mir leichter zumute.«
»Tu, wie du willst«, sagte Toke. »Ich brauche jetzt nicht mehr mit Fellen zu handeln.«
Orm holte eine der kleinen Truhen, stellte sie vor sich hin und zerschnitt die roten Schnüre, an denen das kaiserliche Siegel hing. Die Truhe hatte ein starkes Schloß; Orm setzte sein Messer an, nahm auch Tokes Messer zu Hilfe, und endlich gab das Schloß nach. Orm hob den Deckel auf, und beide Männer blickten schweigend auf den Inhalt der Kiste nieder. Endlich sagte Toke fromm:
»Fafner nicht
in früher Vorzeit
brütete
auf besserem Nest.«
Orm entgegnete nichts darauf, obschon er gewohnt war, wenn Toke Verse machte, es ihm gleich zu tun.
Nun war die Sonne aufgegangen und schien auf die Truhe. Das Gold, das sie füllte, war vom Liegen im Fluß nicht dunkel geworden; zum größten Teil waren es Münzen verschiedener Art, und sie füllten die Truhe bis zum Rande. In die Münzen gebettet lag Schmuck: große und kleine Ringe, Schnallen, Ketten, Spangen und anderes, und Toke mußte bei diesem Anblick an schöne Speckstücke denken, die in Erbsensuppe umherschwimmen.
»Das wird etwas für die Frauen sein, wenn wir die Kisten daheim öffnen«, sagte er. »Wenn die nur nicht vor Freude verrückt werden!«
»Es wird nicht leicht sein, dies alles gerecht zu verteilen«, sagte Orm.
Die Männer waren nun allmählich erwacht. Orm sagte ihnen, daß eine der Truhen mit dem Weiberkram unter sie verteilt werden würde und daß der Inhalt die Erwartungen ganz erstaunlich übersteige.
Das Verteilen dauerte den ganzen Tag. Jeder Mann erhielt 86 große und kleine Münzen, und ebensoviel betrug das Los jedes Toten, das den Erben zufallen sollte. Spof erhielt den Anteil eines Steuermannes: also das Vierfache. Am schwierigsten war das Teilen der Schmucksachen, und es kam vor, daß Ringe und anderes in Stücke geschlagen werden mußten, damit die Teilung gerecht würde; aber oft verglichen sich die Männer durch Tausch und gaben Münzen her, um einen schönen Schmuck unversehrt zu erhalten. Andere wiederum gerieten in Streit, aber Orm sagte: erst wenn sie
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