Black Dales
Prolog
Nicht bis in alle Ewigkeit
Der Morgen war grau und verregnet. Die Wolken hingen so tief, dass sie um ein Haar die Dachgiebel der Häuser zu berühren schienen, und der Wind blies kräftig und kalt. Hinter dem brusthohen Zaun am Ende der Straße hatte das Wasser bereits tiefe Pfützen in die Wiese gegraben und spiegelte die Farbe des Himmels wie funkelnde, silberne Spiegel.
Typisches Londoner Wetter also.
Zugegeben, es war nicht gerade das ideale Wetter für den Beginn einer Reise quer durchs Land, aber Kate schien sich ihre Laune an diesem Tag durch nichts verderben zu können. Sie hatte vor einigen Monaten ihr Anglistikstudium an der Uni abgeschlossen, und bevor sie sich nun endlich ins Berufsleben stürzte, musste sie einfach noch einmal raus aus der Stadt – etwas tun, wofür sie später vielleicht kaum noch Gelegenheit haben würde, wenn sie erst mal Arbeit gefunden hatte.
Sie schmiss ihre Tasche in den Kofferraum ihres Wagens, knallte die Klappe zu und lief noch einmal zurück ins Haus, um ihre Jacke zu holen. Der Weg durch den Vorgarten war nass und rutschig und Kate musste höllisch aufpassen, um nicht auf den glatten Steinen auszurutschen. In den Beeten zu beiden Seiten grub der Regen schmale Rinnsäle in die lockere Erde und sammelte sich an den tieferen Stellen zu schlammigen, braunen Löchern.
Ein eisiger Windhauch wirbelte ihr die braunen Haare ins Gesicht, als Kate zurück auf den Bürgersteig trat, und trieb ihr die Tränen in die Augen. Sie öffnete die Fahrertür ihres Astras, beugte sich zum Beifahrersitz hinüber und kramte in ihrer Handtasche nach dem Wagenschlüssel.
Hinter ihrem Rücken ertönte ein leises Lachen.
»Irgendwann vergisst du noch mal deinen Kopf«, hörte sie die Stimme ihres Vaters, und als sich die junge Frau umdrehte, hielt er die Schlüssel mit einem triumphierenden Lächeln in die Höhe. Er ließ sie locker in Kates geöffnete Hand fallen.
»Sehr witzig, Dad«, sagte Kate trocken, und ihr Vater musste grinsen, als er ihren Gesichtsausdruck bemerkte.
Ihre Mutter Sarah dagegen hatte eine eher besorgte Miene aufgesetzt.
»Fahr bitte vorsichtig«, meinte sie und stellte sich an die Seite ihres Mannes, der seinen Arm auf der Fahrertür abgestützt hatte und sich locker durch das dunkle Haar fuhr.
»Vor allem die Straßen in den Yorkshire Dales sollen ganz schön tückisch sein. Pass auf, dass du dich nicht noch verfährst!«
Kate schüttelte den Kopf. »Keine Sorge! Ich habe mindestens ein halbes Dutzend Karten eingepackt.« Sie klopfte ein paar Mal bestätigend mit ihrer Hand auf das Wagendach. »Mach dir nicht so viele Gedanken, Mum.«
Diese lächelte und zog ihre Tochter an sich. »Sei trotzdem vorsichtig«, flüsterte sie ihr ins Ohr. Es dauerte eine Weile, bis sie Kate wieder losließ. »Und bestell Anna und Sue einen schönen Gruß!«
Henry, Kates Vater, grinste. Wenn er das tat, fand Kate, hatte er dieses schelmische Glitzern in den Augen und sah gleich um Jahre jünger aus.
»Und sag deiner Tante bloß, dass wir sie besuchen kommen, sobald ich im März Urlaub habe! Sonst denkt sie wieder, wir hätten sie vergessen.«
»Keine Angst!«, entgegnete Kate und hob die Augenbrauen. »Ich will schließlich nicht der Auslöser für die Familienfehde sein.« Sie musste lachen und schloss auch ihren Vater ein letztes Mal in die Arme. Er war ein herzlicher Mensch und machte keinen Hehl daraus, dass er seine Tochter vermissen würde, solange sie unterwegs war.
»Du kannst dich ja mal melden«, schlug er vor, und Kate versetzte ihm einen kurzen Knuff gegen die Brust.
»Dad, ich werde nicht bis in alle Ewigkeit dort bleiben!« Mit diesen Worten stieg sie in den Wagen, steckte den Schlüssel ins Zündschloss und kurbelte die Scheibe hinunter.
Ihr Vater trat ein paar Schritte zurück. »Na, dann«, sagte er, während Kate den Motor aufheulen ließ. Er war der Grund, warum ihr Vater ihren Wagen nur noch liebevoll Traktor nannte, und sie hatte es aufgegeben, ihn davon abzubringen.
»Und pass auf, dass die Kiste nicht auseinanderfällt.«
Kate stöhnte innerlich. Er konnte es einfach nicht lassen.
»Du hast ihn mir geschenkt, Dad! Nicht vergessen!«
»Ich weiß! Für die Uni, nicht, um eine Weltreise zu machen!«
»So groß ist die Insel nun auch nicht!« Sie lachte. »Also. Macht’s gut!«
Sie winkte ein letztes Mal aus dem Fenster, kurbelte die Scheibe hoch und trat aufs Gas. Als sie sich noch einmal flüchtig umsah, standen ihre Eltern vor der Treppe zur
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