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Die achte Karte

Die achte Karte

Titel: Die achte Karte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Mosse
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leben.
     
    Doch da, viele hundert Meilen südlich von Paris, regt sich etwas.
    Eine Reaktion, eine Verbindung, eine Konsequenz. In den alten Buchenwäldern oberhalb des beliebten Kurorts Rennes-les-Bains hebt ein Windhauch die Blätter. Musik, gehört und doch nicht gehört.
    Enfin.
    Das Wort ist ein Hauch im Wind. Endlich.
    Ausgelöst durch die Tat eines arglosen Mädchens auf einem Friedhof in Paris, bewegt sich etwas in der steinernen Grabstätte. Etwas erwacht, das auf den verschlungenen und überwucherten Wegen der Domaine de la Cade längst vergessen war. Ein zufälliger Beobachter würde es wohl nur für eine Sinnestäuschung im schwindenden Nachmittagslicht halten, doch für einen flüchtigen Moment scheinen die Gipsstatuen zu atmen, zu schwanken, zu seufzen.
    Und die Porträts auf den Karten, die unter Erde und Stein begraben liegen, wo der Fluss versiegt, scheinen für einen Moment zu leben. Schemenhafte Gestalten, Eindrücke, Ahnungen, mehr noch nicht. Eine Andeutung, eine Illusion, ein Versprechen. Die Brechung des Lichts, die Bewegung der Luft unter der Biegung der Steintreppe. Die unentrinnbare Verbundenheit von Ort und Augenblick.
    Denn in Wahrheit beginnt diese Geschichte nicht mit den Knochen auf einem Pariser Friedhof, sondern mit einem Kartenspiel.
    Dem Bilderbuch des Teufels.

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    Erster Teil
    Paris
    September 1891

Kapitel 1
    ∞
    Paris, Mittwoch, 16 . September 1891
    L éonie Vernier stand auf den Stufen zum Palais Garnier, hielt ihr Ridikül umklammert und wippte ungeduldig mit dem Fuß.
    Wo bleibt er denn?
    Die Dämmerung kleidete den Place de l’Opéra in ein seidiges blaues Licht.
    Léonie runzelte die Stirn. Es war zum Verrücktwerden. Seit fast einer Stunde wartete sie nun schon auf ihren Bruder am vereinbarten Treffpunkt, unter dem gleichmütigen Blick der Statuen, die das Dach des Opernhauses zierten. Sie hatte zudringliche Blicke erduldet. Sie hatte das Kommen und Gehen der
fiacres
beobachtet, Privatkutschen mit geschlossenem Verdeck, öffentliche Droschken ohne Schutz vor den Elementen, vierrädrige Gespanne, Gigs, und alle hatten sie ihre Passagiere abgesetzt. Ein Meer von schwarzen Seidenzylindern und erlesenen Abendkleidern aus den Schauräumen von Maison Léoty und Charles Worth. Es war ein elegantes Premierenpublikum, eine Menge Kulturbeflissener, die sehen und gesehen werden wollten.
    Aber kein Anatole.
    Einmal meinte Léonie, ihn zu erblicken. Ein Mann mit der Haltung und Statur ihres Bruders, groß und breitschultrig, und mit dem gleichen bedächtigen Gang. Aus der Ferne bildete sie sich sogar ein, seine glänzenden braunen Augen und den dünnen schwarzen Schnurrbart zu sehen, und sie hob die Hand, um zu winken. Doch dann drehte sich der Mann vollständig um, und sie erkannte, dass er es nicht war.
    Léonie richtete den Blick wieder auf die Avenue de l’Opéra. Sie verlief quer bis hinunter zum Palais du Louvre, ein Überbleibsel zerbröckelnder Monarchie, als ein ängstlicher französischer König einen sicheren und direkten Zugang zu seiner abendlichen Unterhaltung verlangte. Die Laternen strahlten in der Dämmerung, und durch die erleuchteten Fenster der Cafés und Bars wurden Rechtecke warmen Lichtes geworfen. Die Gaslampen spuckten und zischten.
    Um sie herum war die Luft erfüllt von den Geräuschen einer Stadt in der Dämmerung, wenn der Tag der Nacht weicht.
Entre chien et loup.
Das Klirren von Geschirren und Rädern auf den belebten Straßen. Der Gesang ferner Vögel in den Bäumen des Boulevard des Capucines. Das heisere Schreien von Straßenhändlern und Pferdeknechten, die sanfteren Töne der Mädchen, die auf den Stufen zur Oper künstliche Blumen verkauften, die hellen Rufe der Jungen, die einem Herrn für einen Sou die Schuhe wichsten und wienerten.
    Ein weiterer Omnibus rollte zwischen Léonie und der prächtigen Fassade des Palais Garnier auf seinem Weg zum Boulevard Haussmann vorbei, und der Schaffner pfiff auf dem Oberdeck vor sich hin, während er die Fahrkarten lochte. Ein alter Veteran mit einem Tonquin-Orden an der Brust torkelte nach rechts und links und sang ein trunkenes Soldatenlied. Léonie sah sogar einen Clown mit weißgeschminktem Gesicht unter dem schwarzen Dominofilzhut, das Kostüm mit Goldpailletten besetzt.
    Wie kann er mich nur so warten lassen?
    Die Glocken begannen für die Abendandacht zu läuten, und die getragenen Töne hallten über das Pflaster. Von Saint-Gervais oder einer anderen Kirche in der Nähe?
    Sie zuckte halbherzig

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