Die Ahnen von Avalon
Honigwein öffnete.
»Teli'ir?«, rief der Magier.
Ardral nickte. »Ich glaube, davon gibt es höchstens noch ein Dutzend Krüge auf der ganzen Welt.«
»Du verwöhnst mich, Onkel. Aber ich fürchte, der Anlass wird dem Wein nicht gerecht.« Chedan ließ sich mit einem tiefen Seufzer auf eine gepolsterte Liege sinken.
Mit seinem Onkel beisammenzusitzen und Teli'ir zu trinken, das war fast so, als wäre die Zeit stehen geblieben, als umspannte das Goldene Reich die Welt noch immer von einem Ende zum anderen. Hier war er nicht mehr der gelehrte Chedan Arados, der mächtige Meister der Mysterien, von dem die Menschen sich Antworten, Lösungen, Hoffnung erwarteten. Hier konnte er ganz er selbst sein.
Onkel und Neffe hatten sich vor dem Untergang des Alten Landes nicht sehr nahe gestanden, aber Chedan kannte Ardral, so lange er denken konnte. Viele Jahre bevor er zum Priesterschüler erwählt wurde, war sein Onkel für kurze Zeit sogar sein Lehrer gewesen. Das war lange her, aber die Zeit schien Ardral nichts anhaben zu können. Natürlich hatten sich neue Falten und Runzeln in das ausdrucksvolle Gesicht gegraben, und das dichte braune Haar war matter und dünner geworden. Wenn Chedan genau hinsah, konnte er noch mehr solcher Spuren des Alterns finden, doch das waren Kleinigkeiten, die nichts mit Ardrals Persönlichkeit zu tun hatten. Innerlich war er vollkommen unverändert.
»Es ist wirklich eine Freude, dich wiederzusehen, Onkel«, beteuerte er noch einmal.
Ardral lächelte und schenkte nach.
»Ich bin froh, dass du wohlbehalten angekommen bist«, sagte er dann. »Reisen stehen derzeit unter keinem günstigen Stern.«
»Ich weiß«, nickte Chedan. »Das Wetter verheißt ebenfalls nichts Gutes, auch wenn Tjalan meint, ich brauchte mir keine Sorgen zu machen. Aber wenn wir schon dabei sind… Ich hätte da eine Frage. Du hattest doch immer einen klaren Kopf.«
»Aber nicht mehr lange«, scherzte Ardral und trank rasch einen weiteren Schluck Wein.
»Ha!«, lachte Chedan. »Du weißt schon, was ich meine. Du bist ein Mensch, der nicht so leicht auf Hirngespinste oder Legenden hereinfällt. Du siehst nur, was wirklich ist - im Gegensatz zu manchen anderen. Aber lassen wir das.
Vor vielen Jahren«, fuhr er fort, »hast du mir einmal von Rajastas anderen Prophezeiungen erzählt und mir auch erklärt, warum du an sie glaubtest. Hat sich daran etwas geändert? Oder gelten die Gründe von damals auch heute noch?« Er beugte sich vor und sah seinen Onkel eindringlich an. »Du kennst Rajastas Werke besser als jeder andere.«
»Mag sein«, bemerkte Ardral zerstreut und aß ein Stück Käse.
Chedan ließ sich nicht beirren. »Alle konzentrieren sich nur auf die magischen Elemente der Prophezeiung. Die Zerstörung von Atlantis, den unvermeidlichen Verlust von Menschenleben, die geringen Möglichkeiten zu überleben. Aber gerade du kannst die größeren Zusammenhänge erfassen - was war, was ist und…«
»Du lässt wirklich nicht locker, wie?«, brummte Ardral, und diesmal lächelte er nicht. »Nun gut. Ich will dir dieses eine Mal die Frage beantworten, die du selbst nicht über die Lippen bringst, und dann lassen wir die Sache zumindest für heute Nacht auf sich beruhen.«
»Wie du willst, Onkel«, sagte Chedan artig wie ein Kind.
Ardral seufzte und fuhr sich mit den Fingern durch das ohnehin schon zerwühlte Haar. »Die kurze Antwort lautet, ja. Es ist so, wie Rajasta befürchtet hat. Das Unausweichliche geschieht, und was noch schlimmer ist, es geschieht unter Bedingungen, die jedem mittelmäßigen Sterndeuter den Angstschweiß auf die Stirn treten lassen. Pah. Die Leute übersehen so leicht die vielen positiven Einflüsse - es scheint fast, als wollten sie das Schlimmste annehmen. Dennoch, wir können es nicht leugnen: Adsar, der Kriegerstern, hat seine Bahn deutlich verändert und steuert auf das Widderhorn zu. Und das ist genau die Stellung, die in den alten Schriften als KRIEG DER GÖTTER bezeichnet wird. Aber in den Texten steht kein Wort davon, dass die Konstellation irgendwelche Auswirkungen auf die Welt der Sterblichen hätte. Das ist nur die Eitelkeit der Menschen. Sie sind so berechenbar.«
Darauf wusste Chedan nichts zu erwidern.
Die beiden schwiegen lange. Ardral schenkte sich noch einmal ein.
»Siehst du?«, bemerkte der alte Gelehrte endlich sanft. »Es nützt nichts, über solche Dinge nachzugrübeln. Wir sehen sozusagen nur den Saum des Gewandes. Also lass es gut sein. Die nächsten Tage werden
Weitere Kostenlose Bücher