Die Akademie der Abenteuer - Die Knochen der Götter
ausleihen, mein Lieber?«, fragte ihn Meisterin Iggle mit einem kleinen Lächeln.
Erstaunt sah Rufus auf das Buch. »Ja«, sagte er dann, ohne zu wissen, warum.
»Gut. Du hast eine Woche Zeit zum Lesen. Wenn du es bis dahin nicht wiedergebracht hast, kommt Minster und weckt dich um drei Uhr früh mit einem kräftigen Biss in den großen Zeh.«
Rufus sah die Bibliothekarin ungläubig an.
»Das ist kein Scherz«, sagte diese. »Ich habe euch doch erklärt, dass Minster eine abgerichtete Bisambücherratte ist. Aber sag mal, du hast doch noch gar kein Fragment, das du erforschst, oder?«
»Nein.«
»Warum leihst du dir dann ausgerechnet ein Buch über Katzen aus?«
Erst jetzt sah Rufus sich das Buch, das ihn gestreift hatte, genauer an. Es war tatsächlich eine Abhandlung über Katzen in den Jahrtausenden der Geschichte.
»Ich weiß nicht«, sagte er dann. »Es war nur, ich … es ist eben auf mich zugeflogen. Und mit irgendwas muss man ja anfangen.«
Meisterin Iggle warf ihm einen belustigten Blick zu. »Methodik ist wohl nicht deine große Stärke, Rufus Minkenbold.« Sie wandte sich ab und ließ den Blick über die Bücherberge auf dem Boden gleiten. »Andererseits hast du mir eben einen winzigen Teil der Herkulesaufgabe abgenommen, die vor mir liegt. Jedes dieser Bücher muss aufgehoben, auf Schäden untersucht, vielleicht repariert und schließlich wieder einsortiert werden.«
Magistra Bibliothecaria Iggle seufzte.
»Am besten, ich fange schon mal damit an.« Sie bückte sich und hob das nächstliegende Buch auf. »Wir sehen uns dann ja in der Aula.«
In Minsters Maul
Ein Gefühl der Leere hatte sich in der Akademie ausgebreitet. Fili, Rufus und No konnten es deutlich spüren, während sie durch Wandelgänge und Hallen zur Wendelrampe gingen, an deren Fuß die große Aula lag.
Unterwegs begegneten ihnen viele Lehrlinge, die aus anderen Ecken und Winkeln der Akademie ebenfalls in die Aula unterwegs waren.
Jeder von ihnen, das war deutlich, wirkte ein wenig verstört, traurig oder durcheinander.
Die Ausstellungssäle schienen nicht gelitten zu haben. Rufus sah keine gesprungenen Vitrinen, die Fragmente waren nicht durcheinandergepurzelt und keines der Artefaktteile schien Schaden genommen zu haben.
»Wie sollen Bruchstücke auch kaputtgehen?«, sagte Fili plötzlich laut, als hätte sie gerade dasselbe gedacht.
»Hey! Das habe ich mich auch eben gefragt!«, rief No. »Aber dann dachte ich, trotzdem hätte auch noch mehr kaputtgehen können, oder?«
Rufus deutete auf zwei hohe abgebrochene Säulen, unter denen eine Art halber Ritter auf einem Stück von einem Metallpferd saß. »Hier war dieses Scheitern anscheinend nicht so stark wie in der Bibliothek«, sagte er. »Wenn es hier genauso gewackelt hätte, wäre dieser Panzerreiter bestimmt umgekippt.«
»Aber das verstehe ich nicht«, sagte No. »Es gibt keine Erdbeben, die nur in einem Zimmer stattfinden. Es gibt auch keine Erdbeben, die nur in einem Haus passieren. Bei einem Erdbeben wackelt ein ganzes Gebäude oder stürzt ein oder versinkt im Schlund der Erde. Aber das Zentrum eines Erdbebens liegt niemals in einem Raum eines Hauses und ist im nächsten schon nicht mehr zu spüren.«
»Es war ja auch kein Erdbeben«, wandte Fili ein. »Die Meisterin hat es doch erklärt. Es hat sich so angefühlt, aber es war eine Art Schockwelle oder so.«
»Sie hat gesagt, es war der Schmerz«, sagte Rufus. »Und genauso fühlt es sich auch jetzt noch an. Spürt ihr nicht diese seltsame Leere überall?«
Filine nickte. »Ja, es ist, als ob ein kaltes Loch irgendwo in der Nähe wäre, und als würde irgendetwas fehlen.«
»Ich habe das schon in der Bibliothek gemerkt«, sagte Rufus. »Als ob die Bücher gar nicht wegen der Erschütterung aus den Regalen gefallen wären, sondern eher – aus Verzweiflung.«
»Das ist doch Quatsch!«, widersprach No. »Bücher sind doch nicht verzweifelt!«
»Du hast recht«, gab Filine unwillig zu. »Trotzdem habe ich auch das Gefühl, als wäre ein Stück aus der Wirklichkeit weggerissen worden, und an seiner Stelle wäre jetzt gar nichts mehr, nur noch Kälte und Traurigkeit.«
»Ich finde das ziemlich unheimlich«, sagte Rufus. »Ich habe gedacht, dass hier nur Geschichten von Dingen zum Leben erwachen und nicht, dass sie auch in kalten Abgründen verschwinden …«
No seufzte. »Irgendwie ist es auch logisch. Wenn eine Flut sich zurückzieht, hinterlässt sie eben so eine Art leeren Raum. Und da sind die Bücher dann
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