Die Akte Kachelmann
mit, die Aufgabe habe Johann Schwenn übernommen.
Es gibt einen «Medienknall». Alle spekulieren, weshalb es zum Verteidigerwechsel gekommen ist. Thomas Franz, der sonst so schweigsame Anwalt von Sonja A., sagt gegenüber Journalisten einen seiner seltenen Sätze: «Vielleicht schätzt der Angeklagte seine Situation realistischer ein, als sie seine Verteidiger bisher darstellten, zumindest gegenüber der Öffentlichkeit.»
Viele erinnern sich aber auch an die Vorgeschichte: «Zeit»-Autorin Sabine Rückert hatte Reinhard Birkenstock bereits im Mai empfohlen, «einen Kollegen einzubinden, der Verfahren dieser Art gewachsenist». Für sie gab es dafür vor allem einen: «Herrn Schwenn», mit dem sie eine Art publizistisch-juristische Zusammenarbeit pflegt. Birkenstock dachte nicht daran, darauf einzugehen, worauf Rückert prompt in ihrem Wochenblatt schrieb, wie schlecht Kachelmann doch verteidigt sei. Nachdem Johann Schwenn das prestigeträchtige Mandat übernommen hat, beteuert Reporterin Rückert, dass auch sie vom Verteidigerwechsel überrascht worden sei. Und Schwenn sagt: «Denken Sie nicht daran, dass ich etwas damit zu tun habe.» Deutschland liegt unter einer weißen Decke, als Reinhard Birkenstock Sabine Rückerts Geschichte von Kachelmann und dem Karosseriebauer vernimmt. Er sagt dazu nur: «Leise rieselt der Schnee.»
Im Tornado
«In feinstes Tuch gewandet, mit schneeweißen Krawatten ausstaffiert, entspringt er seinem Mercedes-Zweisitzer» – so hatte Sabine Rückert in der «Zeit» einst den Auftritt Johann Schwenns beschrieben. Und so, oder ähnlich, tritt Theaterliebhaber Schwenn jetzt in Mannheim auf, seinen Namen in den edlen Wintermantel eingestickt, manchmal mit roten Socken, immer gekleidet wie ein Gentleman.
Nicht so gentlemanlike sind seine Umgangsformen. Vom ersten Tag an scheint Johann Schwenn alles darauf anzulegen, seinem Ruf als «Quälgeist der Justiz» mit der «Lust am Duell, am Hauen und Stechen, am Kräftemessen, am Sport, am Sieg» (beides Zitate von Schwenn-Kennerin Rückert) gerecht zu werden. Diesen Ruf hat sich der kleingewachsene Silberhaarige hart erarbeitet – unter anderem als Rechtsvertreter des RAF-Terroristen Peter-Jürgen Boock, des Linksparteilers Gregor Gysi, des Vaters der Ex-Tennisspielerin Steffi Graf, des DDR-Spionagechefs Markus Wolf, des Liedermachers Wolf Biermann oder des gestrauchelten Radrennfahrers Jan Ullrich. Nun gesellt sich zu den so unterschiedlichen Charakteren auf der Mandantenliste Jörg Kachelmann. Johann Schwenn hatte etwas geleistet, um zu seinem neuen Mandanten zu kommen. Wie durch Zufall erschien just in den Tagen, in denen der 63-Jährige in Kachelmanns Dienste trat, im Magazin «Cicero» ein Essay zum juristischen Umgang mit sexuellem Missbrauch, der «Pest unserer Tage». Die Zeilen, verfasst von einem Johann Schwenn, lesen sich wie ein Bewerbungsschreiben an den Meteomedia-Chef. Der Autor geißelt darin bereits ein erstes Mal die Mannheimer Staatsanwaltschaft für ihr «dilettantisches Herumermitteln».
Einen Tornado erleben wolle er, hat Jörg Kachelmann gern im Bekanntenkreis erzählt, als er noch ein angesehener TV-Moderator war. Jetzt sitzt ein Tornado in Person neben ihm. Schwenn ist berühmt und berüchtigt dafür, dass er loswirbelt, bevor eine Gerichtsverhandlung beginnt. Und dass er nicht mehr aufhört, selbst wenn das Urteil gesprochen ist.
Schlagfertigkeit ist sein Trumpf. Aber an seinem ersten Tag in Mannheim sticht er mit Schachtelsätzen, welche durchaus zitierbar sind, lässt man die zahlreichen «Ähhs» weg. Mit scharfen Worten, häufig nuschelnd vorgetragen, provoziert er die Gegenseite. «Mir erscheinen Sie», beginnt Johann Schwenn und blickt über seine randlose Brille zur Staatsanwaltschaft, «als Verfahrensbeteiligte, um nicht zu sagen Partei, die gemeinsam mit dem Haus Burda anstrebt, Herrn Kachelmann fertigzumachen.» Oberstaatsanwalt Gattner runzelt die Stirn, Staatsanwalt Oltrogge setzt ein «Der-soll-sagen-was-er-will»-Lächeln auf.
«Ich hatte nicht den Eindruck», sagt Thomas Franz, der Rechtsanwalt von Sonja A., «dass Birkenstock einen Schmusekurs gefahren ist.» Doch die Stimmung wird mit Schwenn gereizter. Der Jurist mit dem gesunden Selbstvertrauen raunzt sogar eine Zuschauerin an, die husten muss: «Nun reicht es aber.» Die ältere Frau, eine der treuen Kachelmann-Anhängerinnen im Publikum, errötet. Schwenn wirft Richterin Daniela Bültmann vor, «geradezu schmerzverzerrt dreinzublicken».
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