Die Akte Kachelmann
Darauf übermannten ihn die Gefühle. Immer wieder wischte er sich Tränen aus dem Gesicht. Er brachte keine Frage mehr zustande. Gast Bause sprang als Gesprächsleiterin ein. «Sie sind ja richtig süß, Herr Kachelmann», bemerkte sie. «Nee, nee, das ist alles nur Mache», antwortete Kachelmann, «das hab ich trainiert, um menschlich rüberzukommen.» Inka Bause wandte sich ans Publikum: «Das nehmen wir ihm nicht ab, stimmts?» Die Zuschauer lachten.
Nach der Aussage des MDR-Redakteurs begann Reinhard Birkenstock E-Mails zu verlesen. Die geschäftlichen und privaten Nachrichten Jörg Kachelmanns über Probleme mit Wettermessungen und der Katze, die aus dem Maul blutet, sollten in seinen Augen aufzeigen, dass der Verfasser «normal funktionierte» in den Stunden und Tagen nach der angeblichen Vergewaltigung. Birkenstock hinterließ einen fahrigen Eindruck. Kachelmann flüsterte seinem Anwalt immer wieder etwas zu. Noch an diesem 15. Prozesstag hatten sie wie ein Herz und eine Seele gewirkt, wenn sie tuschelten. Doch jetzt hatte es den Anschein, als setze sich Birkenstock zum Teil über Anweisungen Kachelmanns hinweg.
Ganz zum Schluss überreichte der Strafverteidiger dem GerichtGeschäftspapiere seines Mandanten. Drei Zentimeter dick ist der Stapel mit den Ausdrucken der Korrespondenz aus der Zeit zwischen angeblicher Tat und Inhaftierung. «Wenn Sie das lesen, werden Sie sehen», das sind Birkenstocks letzte Worte in diesem Gerichtssaal, «dass Jörg Kachelmann als normaler Mensch nach Kanada geflogen ist und nicht wie ein Gestörter.»
Jetzt, sieben Monate nach der Nacht von Schwetzingen, ist Jörg Kachelmann wieder unterwegs an die kanadische Westküste: Kaum am Pazifik angekommen, erreichen ihn neue schlechte Nachrichten aus Mannheim. Seine Hauptverhandlung soll mehr als dreimal so lange dauern wie vorgesehen. Auf eine Verlängerung haben ihn seine Anwälte zwar vorbereitet. Doch nun nimmt es die Kammer sehr genau. Statt zwei Monate mit Gerichtsterminen sollen es plötzlich sieben werden – und später noch mehr.
«Angeklagt sein», hatte Birkenstock einmal im Gerichtsfoyer gesagt, «ist nicht schön – auch wenn man von mir verteidigt wird.» Ein derartiger Prozess stellt für jeden Angeklagten eine massive Belastung dar, nicht nur psychisch, sondern auch finanziell. Jörg Kachelmann beschäftigt nicht nur ein Anwaltsquartett, sondern auch eine rekordverdächtig große Gutachterschar. Auch nachdem Rechtsmediziner Brinkmann und Gerichtspsychiater Elliger ausgeschieden sind, sitzen meist vier oder fünf Sachverständige auf der Seite der Verteidigung im Gerichtssaal. Rechtsanwalt Birkenstock hatte in weiser Voraussicht vorgesorgt. Davon kann sein Nachfolger profitieren. Doch all die Juristen, Rechtsmediziner, Psychologen und Hirnforscher sind teuer. Bereits jetzt, nach zwei Monaten, sollen sich die Verfahrenskosten für den Angeklagten auf über eine halbe Million Euro belaufen. Und jetzt soll es noch drei bis vier Mal so lange gehen?
Die Ausgaben steigen, die Einnahmen nicht. Meteomedia fehlt Kachelmanns Arbeitskraft, weil sich der Angeklagte vorübergehend aus dem Geschäft zurückgezogen hat, um sich auf den Prozess zu konzentrieren. Er selbst rechnet nicht damit, auf den Bildschirm zurückzukehren: «Ich werde nach all dem keine Wettersendungenmehr moderieren können. Nachdem Staatsanwaltschaft und Medien mein angebliches Privatleben gewaltsam öffentlich gemacht haben, wär’s mit dem Blumenkohlwolken-Onkel wohl schwierig. Das Kapitel Fernsehen ist dadurch für mich beendet worden.» Seinen unfreiwilligen Rückzug verkündet Jörg Kachelmann in der «Bild»-Zeitung – ausgerechnet in dem Blatt, von dem sein Medienanwalt eben noch «wegen medialer Hetzjagd» eine Millionen-Entschädigung verlangt hat. Statt Konfrontations- ist jetzt Schmusekurs angesagt. Kachelmann darf der Massenleserschaft sein «Hochgeschwindigkeitsleben» samt «Durcheinander im Liebesleben» beichten. Er gibt seine Vorsätze preis (darunter: «monogam leben») und Pläne für die Zeit nach dem Prozess («vielleicht erst mal mit meiner Mutter zusammenwohnen»).
Kachelmanns Meteomedia sind zwar die Kunden nicht davongelaufen. Die meisten warten ab, wie der Prozess ausgeht. Aber ein Vertrag mit dem Schweizer Verlagshaus Ringier kam im letzten Moment, vermutlich wegen der Verhaftung, nicht zustande. Die Querelen unter den Aktionären im Wetterunternehmen ziehen unschöne Abgänge in der Führungsetage nach sich.
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