Die Akte Kachelmann
Wirtschaftsauskunftsdienste stufen Meteomedia tiefer ein.
Um zu Geld zu kommen, bietet Jörg Kachelmann noch während der Prozesspause sein Zwei-Zimmer-Appartement auf Hiddensee zum Verkauf an. «Die lichtdurchflutete Dachgeschoss-Maisonette-Wohnung mit Meerblick» wird auf der Homepage der Immobilienfirma des Bruders von Kachelmanns Medienanwalt Ralf Höcker angepriesen. Die knapp 80 Quadratmeter Wohnfläche auf der Ostseeinsel werden dort auch Monate später noch für 395 000 Euro angeboten.
Abbauen lassen musste Jörg Kachelmann auch die Wetterstation auf seinem Grundstück im Schwarzwald. Sein braunweißes Haus in Herrenschwand soll ebenfalls verkauft werden.
Dann dringt noch eine weitere Hiobsbotschaft nach Kanada. Eine Woche bevor der Prozess weitergeht, hat die Staatsanwaltschaft beantragt, eine Zeugin aus Zürich zu laden, von der zuvor nie die Rede war. Am 22. November 2010 schreibt Staatsanwalt Oltrogge,es sei davon auszugehen, dass die Schweizerin «mit dem Angeklagten in der Zeit vom Oktober 2009 bis kurz vor der angeklagten Tat eine Beziehung unterhalten hat und es bei einem intimen Zusammensein am 17.01.2010 zu gewalttätigen Übergriffen gekommen ist, in deren Folge die Zeugin mehrere Wochen arbeitsunfähig erkrankt war.» Von diesen Angaben stimmt zwar einiges nicht ganz, aber das wird sich erst später herausstellen. Im ersten Augenblick muss die Verteidigung fürchten, dass wegen dieser Sache auch ein Strafverfahren gegen ihren Mandanten in der Schweiz eröffnet worden ist. Jörg Kachelmann soll deswegen, um einer möglichen Verhaftung in seinem Heimatland zu entgehen, über Amsterdam zurück nach Europa reisen.
Reinhard Birkenstock wehrt sich gegen die Ladung der Zürcherin. Fünf Tage, bevor die große Prozesspause zu Ende geht, am 24. November 2010, schreibt er dem Gericht, die Zeugin sei als «völlig ungeeignetes Beweismittel» abzulehnen.
Am selben Tag schickt um 23.18 Uhr ein Karosseriebauer aus Norddeutschland eine E-Mail ab. «Sehr geehrter Herr Kachelmann», hat er geschrieben, «ich bin vor kurzem vom Landgericht Lüneburg von dem Vorwurf der Vergewaltigung freigesprochen worden, dank meines Verteidigers Johann Schwenn aus Hamburg.» So zumindest skizziert «Die Zeit» jenen Vorgang, der zum überraschenden Verteidigerwechsel beigetragen haben soll. «Ich verfolge Ihren Fall mit großem Interesse», zitiert die Hamburger Wochenzeitung weiter aus den Zeilen des Freigesprochenen, «und ich glaube, Sie sind nicht in besten Händen mit Ihrem Anwalt.»
Jörg Kachelmann hat im vergangenen dreiviertel Jahr Dutzende solcher und ähnlicher E-Mails und Briefe bekommen – auch von Rechtsanwälten. Sie haben einen schlechten Strafverteidiger, stand oft darin. Und: Ich weiß einen besseren. Nämlich diesen und jenen. Oder: Nämlich mich. Jörg Kachelmann ging nie auf solche Ratschläge von Bekannten und Unbekannten ein, und auch nicht auf die unter Juristen verpönte Eigenwerbung.
Doch nun ruft er den Karosseriebauer an, der von Johann Schwenn nach fünfeinhalb Jahren aus dem Gefängnis geholt wordenwar. Das Gespräch dauert laut «Zeit»-Autorin Sabine Rückert keine zehn Minuten. Am Schluss soll Kachelmann zum Karosseriebauer gesagt haben: «Sie sind schuld, wenn es nächste Woche einen Medienknall gibt.»
Am Tag darauf greift Jörg Kachelmann erneut zum Hörer. Er wählt die Nummer von Rechtsanwalt Johann Schwenn in Hamburg.
Doch wie soll er es den Birkenstocks sagen? Seine Entscheidung wird das Ehepaar kränken, das ihm in den vergangenen sieben Monaten so loyal zur Seite gestanden ist. Die Birkenstocks haben ihn, den Nomaden, nach der Freilassung und während des Prozesses sogar zeitweise bei sich wohnen lassen, in ihrem herrschaftlichen Haus am Kölner Rhein. Fast väterlich und mütterlich betreuten sie den 52-jährigen Angeklagten in all den schwierigen Monaten. Vielleicht sind sie ihm dabei zu nahe gekommen, werden Menschen sagen, die den Angeklagten und seinen Umgang mit Weggefährten lange kennen.
Wie soll er es ihnen sagen? Für Mitverteidiger Klaus Schroth, der bei Kachelmanns Freilassung eine prägende Rolle spielte, muss zunächst eine SMS reichen, für die Birkenstocks wohl auch. Allerdings hat Medienanwalt Ralf Höcker am Montag, den 29. November 2010, die Größe und vielleicht den schwierigen Auftrag, Reinhard Birkenstock persönlich aufzusuchen. Am Abend verschickt Birkenstock eine Pressemitteilung: Er sei «nicht mehr Verteidiger von Herrn Kachelmann». Höcker teilt
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