Die Akte Kachelmann
«beruht nicht darauf, dass die Kammer von der Unschuld von Herrn Kachelmann und damit im Gegenzug von einer Falschbeschuldigung der Nebenklägerin überzeugt ist.» Es bestünden aber Zweifel daran, dass Jörg Kachelmann seine Expartnerin misshandelt hat. Deshalb sei er nach dem Grundsatz «in dubio pro reo» vom Vorwurf der schweren Vergewaltigung und der gefährlichen Körperverletzung freizusprechen.
Dann teilt das Gericht, das in den vergangenen Monaten viel einstecken musste, aus. Es kritisiert voreingenommene und pauschalisie-rende Medien und zahlreiche selbsternannte Kachelmann-Experten,die den Respekt vor der Justiz hätten vermissen lassen. Eine Spitze richtet sich gegen Johann Schwenn, der Kammer und Staatsanwaltschaft permanent angegriffen hatte: Die Verdachtsmomente hätten sich, so betont Michael Seidling, ohne Zutun des Hamburger Anwalts verflüchtigt. Tatsächlich hatte Schwenn weniger am Kurs geändert, den Reinhard Birkenstock eingeschlagen hatte, als die verbalen Attacken gegen seinen Vorgänger vermuten ließen. Die Gutachter, die Birkenstock organisiert hatte, übernahm er alle bis auf einen. Schwenn grinst breit, als er die richterliche Kritik vernimmt.
Sowohl die Anzeigeerstatterin als auch der Angeklagte haben nach Ansicht der 5. Großen Strafkammer im Verfahren «die Unwahrheit gesagt». In vielen Punkten schenkt das Gericht nicht Jörg Kachelmann, sondern – trotz «Brieflüge» – Sonja A. Glauben.
Der Wettermoderator habe «unwahre Angaben zum Kennenlernen» und zur elfjährigen Beziehung mit der Radiomoderatorin gemacht, in der er seine «manipulatorischen Fähigkeiten» immer wieder bewiesen habe. Falsch sind laut der Urteilsbegründung aber auch Angaben Jörg Kachelmanns zur letzten gemeinsamen Nacht: beispielsweise, dass Sonja A. in jener Nacht auf dem Bett und im Strickkleid auf ihn gewartet habe. Nicht ausschließen kann das Gericht jedoch, dass es dennoch zu einvernehmlichem Geschlechtsverkehr gekommen sei. Zum Streit um Mitternacht herum habe aber die Nebenklägerin und nicht Jörg Kachelmann die Wahrheit gesagt.
Offen bleibt für die Kammer, was danach passiert ist. Das Gericht sieht Anhaltspunkte dafür, dass Jörg Kachelmann die Dachwohnung «ohne strafbare Handlung» verlassen hat. Mit den Angaben von Sonja A. und ihren Verletzungen ließe sich kein Verdacht gegen ihn erhärten. Die Hämatome an den Oberschenkeln könnten Fremd-wie Selbstverletzungen sein. Die Kammer hält es für möglich, dass die Radiomoderatorin bei bereits bestehenden blauen Flecken nachgeholfen hat, um Jörg Kachelmann zu belasten. Noch eher scheint dies für die Richter bei den Kratzern der Fall zu sein, welche die «These derSelbstbeibringung durch die Nebenklägerin» stützten. Diese Verletzungen seien «ein weiteres Mosaiksteinchen», das auf eine Manipulation durch Sonja A. hindeute. Eigentliche Beweisketten – in die eine oder andere Richtung – rissen aber immer wieder ab. «Sicherlich nicht fernliegend», aber auch «nicht zwingend» ist für das Gericht, dass Jörg Kachelmann gezielt SMS löschte, um Indizien zu beseitigen. Aber auch hier gibt es eine ebenfalls einleuchtende harmlosere Variante: Vielleicht habe Kachelmann nicht Hinweise auf eine Tat zum Verschwinden bringen wollen, sondern die Erinnerung an zwei Frauen.
«Zulasten des Angeklagten» wertet das Gericht, dass Sonja A. schnell Anzeige erstattete, obwohl sie sich bewusst sein musste, was medial auf sie zukommen würde. Oder dass sie zuerst den Namen des Beschuldigten nicht preisgeben wollte. Doch nichts davon ist, so schließt Seidling seine Begründung, für sich «gesehen geeignet, die Schuld oder gar die Unschuld des Angeklagten zu belegen».
Dann sagt der Richter noch etwas, was ihm am Herzen liegt: «Wir sind überzeugt, dass wir die juristisch richtige Entscheidung getroffen haben.» Sonja A. nimmt sich ein Taschentuch. Jörg Kachelmann wirkt wacher als zu Beginn der Urteilsverkündung. «Befriedigung verspüren wir dadurch jedoch nicht. Wir entlassen den Angeklagten und die Nebenklägerin mit einem möglicherweise nie mehr aus der Welt zu schaffenden Verdacht, ihn als potenziellen Vergewaltiger, sie als potenzielle rachsüchtige Lügnerin.» Im Saal ist es ganz still. «Wir entlassen den Angeklagten und die Nebenklägerin aber auch mit dem Gefühl, ihren jeweiligen Interessen durch unser Urteil nicht ausreichend gerecht geworden zu sein. Bedenken Sie, wenn Sie künftig über den Fall reden oder berichten, dass Herr
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