Die Akte ODESSA: Thriller (German Edition)
haben. Tja, ich muß wieder zur Wache. Bis bald, Peter.«
Sie trennten sich, und Miller fuhr zum Altonaer Hauptbahnhof zurück. Er bog in die zur Stadtmitte führende Hauptstraße ein und stellte seinen Jaguar zwanzig Minuten später in der großen unterirdischen Garage beim Hansaplatz ab. Von hier aus waren es keine zweihundert Meter bis zu dem Haus, in dem er ein Dachgartenapartment bewohnte.
Den Wagen während der Wintermonate in der Kellergarage unterzubringen, war kostspielig und gehörte zu den wenigen Extravaganzen, die Miller sich leistete. Seine ziemlich teure Wohnung gefiel ihm, weil sie so hochgelegen war. Er konnte auf den geschäftigen Steindamm und über einen weiten Teil der Stadt blicken. Für Kleidung und Essen gab er nicht viel aus. Mit seinen neunundzwanzig Jahren, seiner Länge von fast zwei Metern, seinem unbändigen braunen Haar und seinen braunen Augen, die den Frauen so gut gefielen, hatte er es nicht nötig, sich teure Anzüge zu kaufen. Ein Freund hatte ihm einmal, nicht ohne Neid, gesagt: »Dir würden die Mädchen noch in eine Mönchszelle nachlaufen.« Miller hatte nur gelacht, sich aber doch geschmeichelt gefühlt, weil er wußte, daß es die Wahrheit war.
Seine wirkliche Leidenschaft waren Sportwagen, sein Beruf und Sigrid, obschon er sich gelegentlich eingestand, daß Sigi, wenn er jemals zwischen ihr und dem Jaguar zu wählen hätte, sich anderweitig würde trösten müssen.
Er blieb noch eine Weile vor dem Jaguar stehen, nachdem er ihn auf seinem Garagenplatz abgestellt hatte, ganz in den Anblick des Wagens versunken. Er konnte sich nicht daran satt sehen. Wenn er ihn in irgendeiner Straße geparkt hatte und zurückkam, verharrte er oft einen Augenblick lang in andächtiger Bewunderung, bevor er einstieg. Häufig blieben Passanten stehen und bemerkten, ohne zu wissen, daß der Wagen ihm gehörte, anerkennend: »Toller Schlitten!«
Normalerweise fährt kein freier Reporter seines Alters einen Jaguar XK 150 S. Ersatzteile waren in Hamburg schon deswegen nur unter allergrößten Schwierigkeiten zu bekommen, weil die XK-Serie, deren letztes Modell der Typ s gewesen war, seit 1960 nicht mehr produziert wurde. Miller hielt den Wagen selbst in Schuß, verbrachte jeden Sonntag viele Stunden im Overall unter dem Chassis oder der Motorhaube. Das Benzin, das der Wagen mit seinen drei Vergasern schluckte, ging ganz schön ins Geld, aber das nahm Miller gern in Kauf. Das berserkerhafte Röhren zu hören, wenn er auf der Autobahn das Gaspedal durchtrat, oder den Druck zu spüren, der ihn gegen die Polsterung preßte, wenn der Wagen auf einer Bergstraße aus der Kurve in die Gerade schoß – das ließ er sich gerne etwas kosten. Er hatte die Federung der beiden Vorderräder noch härter machen lassen, und da die Hinterräder mit Einzelradaufhängung versehen waren, blieb der Jaguar auch in Kurven, in denen andere Wagen, die sich nicht überholen lassen wollten, unweigerlich ins Schleudern gerieten, eisern in der Spur. Miller hatte ihn schwarz spritzen und an den Seiten der Länge nach mit einem wespengelben Streifen versehen lassen. Da der Wagen nicht für den Export, sondern für den innerenglischen Verkehr hergestellt war, befand sich das Lenkrad auf der rechten Seite; das erwies sich wegen der Sicht beim Überholen zuweilen als hinderlich, andererseits konnte er jedoch so mit der linken Hand schalten und mit der rechten steuern, was er als sehr vorteilhaft empfand. Immer noch vermochte er, wenn er daran dachte, wie er an den Jaguar gekommen war, sein Glück kaum zu fassen. Irgendwann im Frühsommer hatte er beim Friseur ein Schlagermagazin aufgeschlagen und müßig durchgeblättert. Normalerweise interessierte er sich nicht für die Klatschgeschichten von Schlagersängern, aber es gab nichts anderes zu lesen. Ein langer Artikel berichtete von dem kometenhaften Aufstieg, mit dem vier pilzköpfige junge Engländer internationalen Ruhm errungen hatten. Das Gesicht ganz rechts außen auf dem doppelseitigen Photo – das mit der großen Nase – sagte Miller nichts, aber die anderen drei Gesichter kamen ihm bekannt vor.
Die Titel der beiden Schallplatten, mit denen das Quartett den entscheidenden Erfolg erzielt hatten – »Please, Please Me« und »Love Me Do« –, sagten ihm ebenfalls nichts, aber über die drei Gesichter zerbrach er sich zwei Tage lang den Kopf. Dann fiel ihm ein, daß die drei vor zwei Jahren in irgendeinem Beatschuppen an der Reeperbahn gespielt hatten. Es dauerte einen
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