Die Akte Rosenthal - Seelenfischer-Trilogie 03
der Toilette ihre Freundin Karin getroffen und ist kurz mit ihr zu deren Picknickplatz gegangen, um ihr Baby zu bewundern. Ich soll alles zusammenpacken und nachkommen. Allerdings befindet sich der Platz am entgegengesetzten Ende des Parks. Ich fürchte, wir müssen unser Fußballspiel verschieben.“
„Ach was, das holen wir irgendwann schon nach. Hauptsache, es ist alles in Ordnung.“
Bei sich dachte Herr Martin, dass dem jungen Vater der Schrecken gehörig in die Glieder gefahren sein musste; er war bleich wie der Tod.
Lukas packte alles in großer Hast zusammen und marschierte dann auf steifen Beinen zum Parkplatz. Die ganze Zeit über brannte der Text der Nachricht wie Säure in seinem Kopf. In Gedanken wiederholte er ihn den langen Weg bis nach Hause wie sein eigenes schreckliches Mantra:
„Wenn Sie Frau und Sohn lebend wiedersehen wollen, unternehmen Sie nichts und informieren Sie niemanden. Keine Polizei. Kein vST-Werkschutz. Wir beobachten Sie.
Dieser Albtraum war für Lukas ein furchtbares Déjà-vu.
Schon einmal hatte er vor dem Abgrund seines Lebens gestanden. Damals hatte er nicht nur beinahe seinen Glauben an Gott verloren, sondern mehrere ihm nahestehende Personen hatten einen gewaltsamen Tod gefunden.
Seit jenen verhängnisvollen Tagen in Rom hatte er sein Herz verschlossen. Er ahnte, dass seine Frau Magali ihn durchschaut hatte und unter seinem oft distanzierten Verhalten gelitten haben musste. Und doch hatte sie ihn niemals bedrängt, hatte niemals mehr von ihm verlangt, als er bereit gewesen war zu geben.
Dabei war er sich der Liebe, die mit Magali und Matti in sein Leben getreten war, durchaus bewusst. Aber er hatte es mehr als etwas gesehen, das er im Augenblick erfahren durfte - ein Schatz, der ihm nur auf Zeit geliehen worden war.
Doch seine Bemühungen, sich selbst vor Verlust und Schmerz zu schützen, waren vergeblich gewesen. Dies war ihm im selben Augenblick klar geworden, als er die Nachricht der Entführer gelesen hatte.
Doch jetzt war nicht die Zeit, um vergangene Fehler zu bedauern. Er musste sich auf die Erfordernisse des Augenblicks konzentrieren, um Matti und Magali wohlbehalten zurückzubekommen. Was konnten die Entführer anderes von ihm verlangen als Geld? Er, Lukas, besaß kein eigenes Vermögen. Das mussten die Entführer doch wissen. Er würde sich wegen des Lösegelds an seinen Vater wenden müssen.
Doch wie vertrug sich das mit der strikten Anweisung der Entführer niemanden zu informieren? Die Nachricht hatte auch explizit auf den gut organisierten Werkschutz der vST-Werke hingewiesen. Das zeigte, dass die Entführer im Bilde waren, dass der Werkschutz seines Vaters sich vornehmlich aus ehemaligen GSG-9-Soldaten zusammensetzte. Der langjährige Leiter, James Fonton, war gar ein früheres Mitglied der britischen Elitetruppe SAS.
Als Lukas vor der Garage seines kleinen Reiheneckhäuschens im Dürerweg zum Stehen kam, schreckte er benommen auf. Er konnte sich nicht erinnern, wie er hierher gelangt war. Er schien die zwanzig Minuten wie in Trance gefahren zu sein. Es grenzte an ein Wunder, dass er es überhaupt heil bis nach Hause geschafft hatte.
Der Hausschlüssel steckte noch nicht richtig im Schloss, als innen das Telefon zu läuten begann. Hastig riss er die Tür auf und stürzte sich auf den Hörer.
„Hallo“, rief er atemlos, während er gleichzeitig versuchte, das zur Familie gehörende Shih-Tzu-Hundepärchen abzuwehren, das ihn freudig umsprang. Die Hündin war läufig, darum hatten sie sie heute zuhause lassen müssen.
„Hi, Bruderherz“, tönte ihm die muntere Stimme seiner Zwillingsschwester entgegen. „Mann, du bist ja ganz schön außer Puste. Wobei habe ich dich denn gerade erwischt? Kleine Frühlingsnummer mit Magali geschoben?“, zog Lucie ihn auf, jederzeit bereit, ihren ernsthaften Bruder in Verlegenheit zu bringen.
„Was du immer denkst, Lucie. Ich bin nur eben erst zur Tür herein.“ Aus alter Gewohnheit fragte er sie dann: „Wo steckst du?“
Lucie war frischgebackene Archäologin und hatte mit ihrer üblichen Energie und Überzeugungskunst geschafft, worauf andere Jahre ihres Lebens warten mussten: Eine begehrte Assistenzstelle der Universität Tübingen zu ergattern, die offiziell den weiterführenden Forschungsauftrag in den Höhen von Hisarlik, besser bekannt unter dem Namen Troja, innehatte.
Lukas vermutete sie dort, inmitten der antiken Ausgrabungsstätten. Doch Lucies Antwort ließen bei ihm alle Alarmglocken
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