Die Akte Rosenthal - Seelenfischer-Trilogie 03
schrillen.
„Ich bin hier, in Nürnberg. Gerade angekommen. Lass mich nur schnell auspacken, dann komme ich auf ein Pläuschchen zu euch rüber. Ich habe aufregende Neuigkeiten mitgebracht.“
Verflixt, das war das Letzte, was er jetzt gebrauchen konnte: Seine neugierige Zwillingsschwester, die jeden Braten roch, bevor er überhaupt im Ofen war, und ihm in ihrer unnachahmlichen Art sofort alle Würmer aus der Nase ziehen würde. Er musste an die Warnung der Entführer denken. Nicht auszudenken, wenn sie den geringsten Verdacht hegten, dass er sich nicht an ihre Anweisungen hielt.
Lukas bemühte sich, seine Stimme unter Kontrolle zu behalten: „Wozu die Eile, Lucie? Ruh dich doch erst mal aus, und wir sehen uns dann morgen. Ich muss heute noch einen ganzen Berg Schulaufgaben korrigieren. Magali ist deshalb mit Matti extra weggefahren, um eine Freundin zu besuchen“, improvisierte er aus dem Stehgreif.
„Na gut, wenn du nicht willst.“ Lucie klang enttäuscht. „Aber morgen dann ganz sicher! Ich lade euch alle auf eine Pizza ein. Ehrlich, ich kann kein Kebab mehr sehen.“
„Gut, wir sehen uns dann morgen. Ich freue mich auf dich. Mach's gut bis dahin, Lucie, und grüß Mama.“ Lukas legte schnell auf und starrte dann auf den Apparat, als wäre er sein persönlicher Feind. Ihm war ein Gedanke gekommen. Vorhin, in der ersten Aufregung, hatte er nicht richtig darauf geachtet. Was hatte das ` Wir beobachten Sie´ in der Nachricht der Entführer genau zu bedeuten? Hörten sie etwa sein Telefon ab? Hatte sich jemand vor seinem Haus postiert, um zu beobachten, ob er Polizeibesuch bekam?
Mit Mühe unterdrückte er den Impuls, sofort das Telefon auseinanderzunehmen. Was würde es nutzen? Nichts. Selbst wenn er eine Art Wanze finden würde, könnte er sie nicht entfernen. Sie würden es registrieren. Eine solche Aktion würde nur unnötig seine Familie gefährden. Er war zum Warten verurteilt, bis sich die Entführer bei ihm melden würden.
Voller Unrast stromerte Lukas durch sein Haus. Irgendwann fand er sich im ehelichen Schlafzimmer wieder. Alles darin trug Magalis Handschrift, die warmen Creme- und Erdtöne, die hellen Möbel, der weiche Teppich.
Lukas' Blick verfing sich in Magalis seidenem Morgenrock. Mit seinen verführerischen Spitzen und den geschlitzten Ärmeln erinnerte er an die Modelle, die Hollywood-Diven in den Vierzigerjahren trugen. Er hatte ihn ihr erst Weihnachten geschenkt.
Magali hatte lachend gemeint, dass ihr ganz mondän zumute wäre und sich der Briefträger sicher freuen würde, wenn sie ihm so gekleidet die Haustür öffnen würde. Dann hatte sie sich zu Lucie gedreht, die mit ihnen feierte, und sie mit einem Zwinkern gebeten, das nächste Mal ein Modell „Marke Hausfrau“ auszuwählen, wenn sie ihren Bruder bei seinen Einkäufen beriet.
Alle hatten gelacht, einschließlich Mattis Patenonkel Jules, der aus München angereist war, und dem altem Rabbi Rosenthal, dem Großvater seiner verstorbenen Jugendfreundin, der sich ihnen auch heuer zugesellt hatte. Lukas zwang sich, jetzt nicht an das nächste Fest zu denken. Magali und Matti würde nichts geschehen! Niemand war so unschuldig wie Magali und Matti. Gott würde nicht die Unschuldigen strafen.
Gleich gegenüber lag Mattis Kinderzimmer. Sein Sohn, absoluter Spiderman-Fan, befand sich zusätzlich in einer Jurassic-Park-Phase. In seinem Zimmer wimmelte es von Sauriern in allen Formen, Farben und Größen - Geschenke der von ihrem einzigen Enkelsohn berauschten Großeltern.
Matti sollte sein Zimmer heute Morgen auf Geheiß seiner Mutter aufräumen. Aber fünf Minuten Spielen hatten wie immer ausgereicht, um das vorangegangene Chaos wieder herzustellen. Es war ein ewiger und ungleicher Kampf, den Mutter und Sohn täglich miteinander ausfochten.
Lukas setzte sich auf Mattis Kinderbett. Die beiden Hunde waren ihm überall hin gefolgt, gingen, wenn er ging, setzten sich, wenn er sich setzte, und beobachteten die kleinste seiner Bewegungen. Die zwei, sonst zu allerlei Schabernack aufgelegt und immer dabei, wenn es darum ging, ein Mitglied des Haushaltes zum Spielen zu animieren, verhielten sich heute auffällig still. Sie spürten, dass etwas nicht stimmte.
Lukas griff nach der Sanduhr, die seine Schwester Lucie Matti geschenkt hatte. Der Sand stammte aus dem Tal der Könige. Lucie hatte ihn auf ihrer letzten Ägypten-Expedition aufgesammelt und Matti dann mit fantastischen Erzählungen unterhalten, wer alles schon über diesen Sand
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