Die Akte Veden
Verbrechen und der Schule sofort eine Verbindung gesucht wird.«
»Sir Veden, welche Gabe besitzen Sie?«
Der Direktor grinste hämisch. »Als wüssten Sie das nicht längst. Ich bin ein Veden. Ich wäre nie so jung auf diesen Posten gekommen, wenn ich nicht ein so hervorragender Schüler gewesen wäre. Und an dieser Schule wird man nur Bester, wenn man die Imagination beherrscht.«
»Ist das so?«, fragte Tim.
»Ja, das ist so. Gobinda Veden hat die Strukturen so angelegt, dass sie nichts anderes zulassen. Keiner ohne diese Gabe hat einen solchen Zugang zu den Lehren, dass er eine bessere Gesamtnote als eine Zwei erreichen kann. Alles, was darüber hinausgeht, deutet auf die Fähigkeit hin.« Der Direktor richtete den Blick wieder auf Loki. »Rücken Sie schon raus damit, wen verdächtigen Sie? Sie wären jetzt nicht hier bei mir, wenn Sie nicht etwas in diese Richtung in Erfahrung gebracht hätten.«
Noch immer war Lokis Gesicht nichtssagend. Die grauen Augen ruhten gleichmütig auf Veden. »Das Feuer in den Archiven hat sämtliche Unterlagen über Sie vernichtet. Ich glaube, Sie wissen, wer es gelegt hat, nicht wahr?«
Tim betrachtete aufmerksam das Gesicht des Direktors. Irgendwie wirkte er jetzt, ohne die aufgesetzte Fröhlichkeit, müde, beinahe abgekämpft. Sein Adamsapfel hüpfte, als er schwer schluckte. Einige Sekunden lang senkte er den Blick auf den Tisch. Er nickte kaum merklich.
»Die Schulbehörde gab sich damals mit der Erklärung der beiden Schüler zufrieden. Die allerdings haben für ihren Freund gelogen, um ihn zu schützen.«
»Sie haben für Chester gelogen«, sagte Loki.
Veden sah ihn an. »Im Jahr 2009 war Chester das erste Mal der Schulbeste. Wie immer haben die Leute von der Schülerzeitung also angefangen, über ihn und seine Familie für den Jahresrückblick zu recherchieren. Chesters Eltern waren beide auf dieser Schule, gingen mit mir in die Klasse. Chester stammt väterlicherseits aus einem alten Geschlecht. Die van Laans gehen beinahe seit Gründung der Schule hierher, um zu studieren. Jedenfalls hat Chester ein einziges Problem: Seine Eltern haben nie geheiratet, er ist ein uneheliches Kind.« Veden sah von Tim zu Loki. »Was dort draußen in der Welt heutzutage kein Problem mehr darstellt, an dieser Schule aber durchaus. Unter den Kindern und Jugendlichen ist das noch immer so etwas wie ein Makel. Das gehört zu den Dingen, die ich versuche, auszumerzen. Die Grundstrukturen basieren noch immer auf den Richtlinien meines Vorfahren aus dem sechzehnten Jahrhundert, aber solche Sachen sollten im Mittelalter bleiben.«
»Nobel von Ihnen, dieses Vorhaben.« Loki legte den Kopf leicht schief und packte seine Zigaretten aus. »Meine Nase verrät mir, dass in Ihrem Büro das Rauchen erlaubt ist.«
Veden schien zuerst verwirrt, nickte aber. »Ja. Ich rauche hier, wenn ich alleine bin.« Er griff unter den Tisch und beförderte einen Aschenbecher und ein Zigarettenetui herauf, bot seinen beiden Gästen eine Zigarillo an. Beide schüttelten die Köpfe. Drei Sekunden darauf schwebten die ersten Rauchwolken gen Decke.
»Chester hat also versucht, diesen Makel geheim zu halten, indem er die entsprechenden Unterlagen verbrannt hat«, stellte Loki nüchtern fest.
»Ja. Und er hat es geschafft. In den darauffolgenden Jahren, in denen immer der zweiseitige Artikel über ihn in der Zeitung erschienen ist, interessierte sich natürlich keiner mehr für seine Herkunft. Die einzigen, die davon wissen, sind seine zwei Freunde, die den Kopf für ihn hingehalten haben, und ich.«
»Chester kann weiterhin in voller Pracht glänzen.«
Veden sah Loki lange an. Mit der rechten Hand hielt er die Zigarillo. Durch die leichte Abwärtsneigung seiner Finger kroch der Rauch über den Handrücken und damit über die Lederriemen. »Er glänzt, weil er es verdient hat, Herr von Schallern. Chester ist ein vorbildlicher Schüler. Er macht Fehler, sicher, aber wer von uns hat die in dem Alter nicht gemacht?«
»Sir Veden, solche Phrasen verleihen Ihnen einen etwas blassen Teint«, erwiderte Loki, beugte sich vor und aschte ab. »Chester verbrannte also nicht nur die Akten über seine Eltern, sondern auch die Ihren, denn sie gingen zusammen in eine Klasse. Sind Sie ihm deshalb auf die Schlichte gekommen? Weil nach dem Feuer alle Unterlagen über seine Eltern gefehlt haben?«
Veden nickte. »Chester ist ein sehr stolzer junger Mann. Ich glaube, er könnte es nicht ertragen, wenn man über ihn tuscheln
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