Die Akte
saß er viel tiefer als seine Kollegen auf ihren massiven Lederthronen. Er sah bemitleidenswert aus. In früheren Jahren war er ein Tiger gewesen, der selbst aus den gerissensten Anwälten Kleinholz gemacht hatte. Aber jetzt nicht mehr. Er begann zu murmeln, dann verstummte er. Der Justizminister bedachte ihn mit einem hämischen Blick und fuhr dann fort.
Während der letzten Anhörung des Tages, einem faden Rassentrennungsfall aus Virginia, begann Rosenberg zu schnarchen. Chief Runyan warf ihm einen finsteren Blick zu. Jason Kline, Rosenbergs ältester Mitarbeiter, verstand sofort. Er zog den Rollstuhl langsam vom Richtertisch zurück und aus dem Gerichtssaal heraus. Dann schob er ihn rasch den Flur entlang.
In seinem Büro kam der Richter wieder zu sich, nahm seine Medikamente und sagte Kline, dass er nach Hause wollte. Kline informierte das FBI, und Augenblicke später wurde Rosenberg auf die Ladefläche seines im Keller parkenden Transporters befördert. Zwei FBI-Agenten beobachteten den Vorgang. Ein Pfleger, Frederic, schnallte den Rollstuhl fest, und Sergeant Ferguson von der Polizei des Obersten Bundesgerichts setzte sich ans Steuer des Transporters. Der Richter duldete keine FBIAgenten in seiner Nähe. Sie würden in ihrem eigenen Wagen folgen und sein Stadthaus von der Straße aus überwachen. Sie hatten Glück, dass sie so nahe herankommen durften. Er misstraute Polizisten, und FBI-Agenten misstraute er erst recht. Er brauchte keinen Schutz.
In der Volta Street in Georgetown verlangsamte der Transporter die Fahrt und setzte rückwärts in eine kurze Auffahrt. Der Pfleger Frederic und der Polizist Ferguson rollten den Richter sanft ins Haus. Die Agenten saßen in ihrem Dienstwagen, einem schwarzen Dodge Aries, und sahen von der Straße aus zu. Die Rasenfläche vor dem Stadthaus war winzig und ihr Wagen kaum zwei Meter von der Haustür entfernt. Es war kurz vor vier Uhr nachmittags.
Ein paar Minuten später verließ Ferguson weisungsgemäß das Haus und sprach mit den Agenten. Nach langen Diskussionen hatte Rosenberg eine Woche zuvor nachgegeben und gestattet, dass Ferguson nach seiner Ankunft nachmittags sämtliche Räume oben und unten inspizierte. Danach musste Ferguson gehen, aber er durfte genau um zehn Uhr abends zurückkommen und bis genau sechs Uhr morgens vor der Hintertür sitzen. Niemand anders als Ferguson durfte es, und er hatte die Überstunden satt.
»Alles in Ordnung«, sagte er zu den Agenten. »Um zehn bin ich wieder hier.«
»Lebt er noch?« fragte einer der Agenten. Die Standardfrage.
»Leider.« Ferguson wirkte müde, als er zu dem Transporter ging. Frederic war rundlich und schwach, aber Kraft war beim Umgang mit seinem Patienten auch nicht erforderlich. Nachdem er die Kissen gerichtet hatte, hob er ihn aus dem Rollstuhl und setzte ihn behutsam auf die Couch, wo er die nächsten zwei Stunden bewegungslos verbringen, schlafen und CNN sehen würde. Frederic machte sich ein Schinken-Sandwich, stellte einen Teller mit Keksen bereit und blätterte am Küchentisch im National Enquirer. Rosenberg murmelte laut irgend etwas und wechselte mit Hilfe der Fernbedienung den Kanal.
Genau um sieben wurde sein Essen aus Hühnerbrühe, Pellkartoffeln und geschmorten Zwiebeln - Schlaganfall-Diät auf den Tisch gestellt, und Frederic rollte ihn hin. Er bestand darauf, selbst zu essen, und es war kein schöner Anblick. Frederic sah fern. Er würde den Schweinkram später wegputzen.
Um neun war er gebadet, mit einem Nachthemd bekleidet und unter die Bettdecke gesteckt. Das Bett war ein schmales, verstellbares, hellgrünes Ding von der Art, wie sie in Militärkrankenhäusern verwendet wurden, mit einer harten Matratze, Bedienungsknöpfen und Klappgittern, von denen Rosenberg verlangte, dass sie unten blieben. Es stand in einem Zimmer hinter der Küche, das er vor seinem ersten Schlaganfall dreißig Jahre lang als kleines Arbeitszimmer benutzt hatte. Jetzt war das Zimmer klinisch sauber und roch nach Desinfektionsmitteln und nahem Tod. Neben dem Bett stand ein großer Tisch mit einer Krankenhauslampe und mindestens zwanzig Gläsern mit Tabletten. Überall im Zimmer waren dicke, schwere juristische Bücher aufgestapelt. Der Pfleger setzte sich auf einen abgeschabten Lehnstuhl und begann, aus einem Schriftsatz vorzulesen. Er würde lesen, bis er den Richter schnarchen hörte - das allabendliche Ritual. Er las langsam, schrie Rosenberg die Worte zu, der steif und bewegungslos dalag, aber zuhörte. Der
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