Die Akte
Schalldämpfer ab. Er wurde nicht mehr gebraucht. Schalldämpfer und Pistole verschwanden wieder in der Ace-Bandage. Khamel warf einen Blick durch das Vorderfenster. Die Innenbeleuchtung des schwarzen Dodge war eingeschaltet, und die Agenten lasen. Er stieg über Ferguson hinweg, machte die Hintertür hinter sich zu und verschwand in der Dunkelheit des kleinen Gartens hinter dem Haus. Er sprang lautlos über zwei Zäune und gelangte auf die Straße. Er begann zu laufen. Khamel der Jogger.
Auf dem dunklen Balkon des Montrose Theatre saß Glenn Jensen für sich allein und schaute den nackten und ziemlich aktiven Männern auf der Leinwand zu. Er aß Popcorn aus einer großen Schachtel und nahm nichts zur Kenntnis außer den Körpern. Er war unauffällig genug gekleidet: blaue Strickjacke, Baumwollhose, Mokassins. Eine große Sonnenbrille machte seine Augen unsichtbar, und ein breitkrempiger Hut bedeckte seinen Kopf. Er war gesegnet mit einem Gesicht, das man leicht wieder vergaß und, wenn es noch dazu getarnt gewesen war, nie wiedererkannte. Schon gar nicht um Mitternacht auf dem Balkon eines nahezu leeren Pornokinos für Schwule. Keine Ohrringe, Tücher, Goldketten oder anderer Schmuck, nichts, woraus man hätte schließen können, dass er abgeschleppt werden wollte.
Es war zu einer Art Sport geworden, dieses Katz- und-Maus-Spiel mit dem FBI und dem Rest der Welt. Auch an diesem Abend hatten sich die Agenten pflichtgemäß auf dem Parkplatz vor dem Haus postiert. Zwei weitere parkten neben dem Ausgang in der Nähe der Hinterveranda, und er ließ sie alle viereinhalb Stunden dort sitzen, bevor er sich verkleidete, in aller Gemütsruhe in die Tiefgarage hinunterfuhr und im Wagen eines Freundes davonrauschte. Das Gebäude hatte so viele Ausgänge, dass es den bedauernswerten Fibbies unmöglich war, ihn zu überwachen. Bis zu einem gewissen Grade taten sie ihm leid, aber es war sein eigenes Leben, das er leben wollte. Und wenn die Fibbies ihn nicht finden konnten, wie sollte es dann einem Killer gelingen?
Der Balkon war in drei kleine Abschnitte mit jeweils sechs Reihen unterteilt. Er war sehr dunkel; der dicke blaue Strahl von dem Projektor hinter ihm war die einzige Beleuchtung. An den Außengängen waren zerbrochene Sitze und zusammengeklappte Tische gestapelt. Die Samtvorhänge an den Wänden waren zerschlissen und heruntergesackt. Es war ein wundervoller Ort, um sich zu verstecken.
Früher hatte er befürchtet, entdeckt zu werden. In den Monaten nach seiner Ernennung hatte er eine Heidenangst gehabt. Er konnte sein Popcorn nicht essen und schon gar nicht die Filme genießen. Er sagte sich, wenn er erwischt oder erkannt oder auf irgendeine unerfreuliche Art bloßgestellt werden sollte, dann würde er einfach behaupten, dass er für irgendeinen anhängigen Obszönitätenfall recherchierte. Ein derartiger Fall stand immer auf der Tagesordnung, und vielleicht würde man ihm das abkaufen. Diese Ausrede konnte durchaus ihren Zweck erfüllen, sagte er sich immer wieder und wurde kühner. Aber eines Nachts im Jahre 1990 geriet ein Kino in Brand, und vier Menschen starben. Ihre Namen standen in der Zeitung. Große Story. Richter Glenn Jensen war zufällig auf der Toilette, als er die Schreie hörte und den Rauch roch. Er huschte auf die Straße hinaus und verschwand. Die Toten wurden auf dem Balkon, gefunden. Einen von ihnen hatte er gekannt. Zwei Monate verzichtete er auf die Kinobesuche, dann fing er wieder damit an. Er brauchte weitere Recherchen, redete er sich ein.
Und was war, wenn er erwischt wurde? Er war auf Lebenszeit ernannt. Die Wähler konnten ihn nicht nach Hause schicken.
Er mochte das Montrose, weil dienstags die ganze Nacht hindurch Filme gezeigt wurden, aber nie viele Leute da waren. Er mochte das Popcorn, und Bier vom Fass kostete fünfzig Cents.
Im mittleren Abschnitt saßen außerdem zwei alte Männer, die miteinander schmusten. Jensen warf ihnen hin und wieder einen Blick zu, konzentrierte sich dann aber auf den Film. Traurig, dachte er, wenn man siebzig ist, den Tod vor Augen und auf der Flucht vor AIDS, darauf angewiesen, sein Glück auf einem schmutzigen Balkon zu finden.
Ein vierter Mann erschien auf dem Balkon. Er warf einen Blick auf Jensen und die eng umschlungen dasitzenden Männer und ging mit seinem Fassbier und seinem Popcorn zur obersten Reihe des mittleren Abschnitts. Der Vorführraum lag direkt hinter ihm. Rechts von ihm und drei Reihen tiefer saß der Richter. Die grauhaarigen
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