Die Albertis: Roman (German Edition)
Karrierefrau ohne Familie. Die alles so mit ... mit links macht, wie du!» Sie wurde einen Tick lauter. «So doll und vorbildlich ist dein Leben ja nun auch nicht gerade. Ich beneide dich wirklich nicht darum, Ebba, dass du jeden Tag in deine Bank latschst und Millionen Aktien umschaufelst. Und abends nach Hause ...»
«Nachts!»
«Nachts nach Hause kommst, und keiner ist da, und überhaupt.»
«Und überhaupt!» Ebba betupfte sich mit ihrer Serviette die Mundwinkel. «Und überhaupt konntest du noch nie gut argumentieren, wenn es um dich geht. Du lenkst immer ab. Du willst die Wahrheit nicht hören.»
«Sag sie mir, Ebba. Sag sie mir. Du weißt, dass ich auf dich höre.»
Ebba lächelte ihr schönstes Lächeln. Wie toll sie aussieht, dachte Anne, stolz statt neidvoll, meine beste Freundin. Und wie sie so aufrecht dasitzt, die rostbraunen Haare damenhaft eingeschlagen, damit keiner etwas von der Dunkelkammer in ihrem Inneren ahnt. Das Make-up perfekt, als habe der Tag gerade erst begonnen. Die Perlenkette in genau der richtigen Länge, und eine Wohlhabenheit ausstrahlend, als gäbe es einen Mann an ihrer Seite, der für sie zahlt. Das Kostüm, maßgemacht und faltenlos, als sei es ebenso geliftet wie Ebbas Gesicht.
Sie kannten sich seit langer Zeit. Sie waren verschieden wie Tag und Nacht. Und dennoch – oder gerade deswegen – hingen sie zusammen wie Topf und Deckel, wie Baum und Wurzel, wie Kopf und Herz. Kennen gelernt hatten sie sich durch eine ganz alltägliche Geschichte, auf der Sparkasse. Ebba war damals dort Kontoführerin gewesen, Herrscherin über Guthaben und Dispositionskredite, eine strenge Herrscherin, besonders gegenüber der Familie Alberti, die zu jener Zeit über wenig und unregelmäßige Einkünfte verfügte. Das Girokonto war mehr als überzogen. Es hagelte Briefe. Es gab zahlreiche Telefonate zwischen Ebba Mommsen und Wolf, unangenehme Gespräche, die Anne und ihren Mann ärgerten und kränkten. Schließlich wollte die Sparkasse den Geldhahn zudrehen. Von da an (und bis zum heutigen Tag) übernahm Anne die Finanzen. Sie machte einen Termin, zog sich schick an und sprach bei Ebba vor. Die Überraschung war: Auf Anhieb konnten sie sich gut leiden. Ebba zeigte Verständnis und Herz. Anne hatte schon immer geglaubt, dass in den wirklich schwierigen Situationen des Lebens plötzlich ein Mentor auftaucht, der einem hilft. Damals war Ebba ihr Mentor gewesen. Als Ebba die Sparkasse verließ, um zu einer Privatbank zu wechseln, bedankte sich Anne bei ihr mit einem Abendessen, bei sich zu Hause. Nach dem Essen zog sich Wolf zurück, um zu arbeiten. Die beiden Frauen blieben allein in der Küche, tranken und unterhielten sich, und entdeckten viele Gemeinsamkeiten. Erst morgens um vier Uhr verließ Ebba die Wohnung der Albertis. Das war der Beginn einer wunderbaren Freundschaft.
«Erstens», Ebba hielt ihren Daumen hoch, «du hast einen lieblosen Ehemann, der ...»
«Ebba! Ich bitte dich.»
«... nicht mal merken würde», sie beugte sich verschwörerisch vor, «wenn du nicht mehr da wärst. Trantütig wie er ist. Immer nur seine albernen Zeichnungen im Kopf.»
«Du bist ungerecht. Mit diesen ‹albernen› Zeichnungen ernährt er eine fünfköpfige Familie. Einigermaßen jedenfalls.»
«Zweitens ...», sie hob die Stimme und hielt den Zeigefinger hoch, «... du hast drei Söhne, die eigentlich alle flügge sind.»
«Luis ist zehn!»
«Pavel ist siebzehn, Edward achtzehn, korrigiere mich. Die Zeit rast, Anne, sie rast. Schau dich an. Du bist jetzt neununddreißig. In zwei, drei Jahren lebst du allein mit Wolf in eurer Riesenwohnung, in diesem schrecklichen Kinderwagen-Stadtviertel, und wenn du sterben wirst, dann nicht einer Krankheit wegen. Sondern vor Langeweile.»
Sie aß weiter. Sie war zufrieden mit sich. Wie immer eigentlich.
Anne wollte etwas antworten, aber sie wusste, dass es stimmte, was ihre Freundin gesagt hatte. Sie trank ihr Glas in einem Schluck leer. Der Weißwein lief ihr kühlend die Kehle herunter. «Trotzdem», wandte sie ein.
«Trotzdem was?»
«Ich bin ein Familienmensch. Ich liebe meine Söhne über alles. Ich brauche das eben, dies ...»
«Aber das ist ja der Irrsinn. Du kannst doch deine Jungs lieben. Du sollst doch deine Familie behalten. Und dennoch ...», sie legte die Gabel auf die restlichen Nudeln und schob den Teller von sich, «... oder gerade deswegen: etwas für dich tun. Für dich! Weißt du überhaupt noch, wie das geht?» Ebba nahm Annes Hand. «Und
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