Neobooks - Dreck muss weg!
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Kapitel 1
Hamburg-Winterhude, Polizeipräsidium
W ieder hatte Kriminaloberrat Kalle Bärwolff sein Versprechen gebrochen. Statt mit Eliza bei Kaffee, Kuchen und Kerzenschein zu feiern, saß er an seinem freien Sonntag im Polizeipräsidium fest. Fuck. Er schielte auf seine Armbanduhr. Gleich fünf. Fast auf die Minute genau vor vierzehn Jahren hatte er seine kleine Krabbe zum ersten Mal in den Armen gehalten. Die Fruchtblase war geplatzt, die Herztöne im Keller. Eliza musste ruck, zuck aus der Gebärmutter evakuiert werden. Was für ein Drama! Winzig war sie gewesen, kaum so lang wie sein Unterarm. Mit großen Augen hatte Eliza ihn angesehen und schien sagen zu wollen: Du bist jetzt mein Papa, ich zähle auf dich! Ihm waren die Knie weich geworden. Er hatte sich vorgenommen, ein guter Vater zu sein, der beste. Na ja.
»Noch einen Moment Aufmerksamkeit, bitte.« Die externe Personaltrainerin Dr. Gesa Clasen lächelte in die Runde.
Wunderschöne gerade Zähne hatte sie, blendend weiß wie frischer Schnee – in Ewigkeit, om. Seit einer geschlagenen Stunde versuchte Kalle, seine Mitte wiederzufinden.
»Frau Polizeipräsidentin, meine Herren, ich fasse mich kurz, versprochen.« Diesmal lächelte Gesa nur für Kalle. Seine Pumpe drehte am Rad.
»Ich habe Ihnen die anonymisierten Daten im Einzelnen vorgestellt«, fuhr Gesa Clasen fort. »Jetzt folgt die Zusammenfassung und der Ausblick, wie es mit den Workshops weitergehen wird.« Sie klickte die Maustaste. Einen Ehering trug sie nicht. Leise klimperte das bunte Glasperlenarmband an ihrem Handgelenk. Es würde Eliza gefallen. Nicht einmal ein Geburtstagsgeschenk hatte Kalle besorgt. Erneut streifte Gesa ihn mit diesem Blick, der alles bedeuten konnte. Oder nichts. Kalle war kein Frauenversteher. Das rächte sich jetzt. Vermutlich war sie bereits jenseits der 50 . Die herzallerliebsten Krähenfüßchen behaupteten tapfer ihre Daseinsberechtigung unter dem Make-up. Verglichen mit Gesa wirkte die junge Polizeipräsidentin wie ein Graureiher: langer Hals, hochgeschlossene Bluse, schiefer Schnabel. Eine karrieregeile Lesbe. Der Flurfunk kannte keine Gnade, und Kalle stimmte absolut zu. Frauen als Vorgesetzte waren noch unerträglicher als kleinwüchsige Männer. Kalles Chef, Kriminaldirektor Guntbert Meyer, der gegenüber am Tisch in seinem Stuhl mehr lag als saß, fielen immer wieder die Augen zu. Guntbert interessierte das Gesabbel, wie er es nannte, einen Dreck. Drei Jahre noch, dann ging er in Pension, und nach ihm würde das Landeskriminalamt zu Staub zerfallen. Sein Potenzial für den Posten des Polizeipräsidenten hatte die Innenbehörde über alle Dienstjahre hinweg verkannt. Zu allem Übel setzte man ihm diese Edeltraut mit Haaren auf den Zähnen vor die Nase, die gerade dem Windelalter entwachsen war. Kalle unterdrückte einen Seufzer der Genugtuung. Guntberts Ehre war schwer traumatisiert, das war offensichtlich – und es geschah ihm recht. Immerhin hatte er es auf den letzten Metern noch zum stellvertretenden Leiter des Landeskriminalamtes gebracht. Was ihm nichts als – Zitat Guntbert –: Bullshit, Extratermine und virenverseuchtes Händedrücken beschert hatte. Für Guntbert Meyer war die Beförderung kein Grund zum Feiern gewesen. Okay, ein paar schimmelige Brötchen aus der Kantine hatte er ausgegeben. Je höher die Besoldung, desto geiziger der deutsche Beamte. In diesem Sinne war Guntbert vorbildlich.
»In den Workshops ging es um diese zentrale Frage: Was bereitet Ihnen auf dem Weg zur Arbeit Bauchschmerzen?« Gesa trank einen Schluck Wasser und fuhr sich mit der Zunge über die Lippen.
Alter Falter, Kalles Kehle war staubtrocken.
»Wir haben uns ausgetauscht, die Wortmeldungen gesammelt, die Probleme benannt. Das Ergebnis ist eine Prioritätenliste, die, wie ich Ihnen erläutert habe, für jedes Dezernat anders aussieht, jedoch bei allen auf den Plätzen eins und zwei identisch ist.«
Der Polizeipräsidentin entwich ein Pfiff, als die nächste Folie auf der Leinwand erschien.
»Handlungsbedarf LKA . Priorität 1 : Führung. Priorität 2 : Kommunikation.«
Plötzlich füllte sich der schlaffe Körper von Guntbert Meyer mit Leben. »Verehrte Frau Clasen, es ist zweifellos hochinteressant, was Sie uns hier im Beisein der geschätzten Personalratsprominenz verkaufen wollen.« Guntbert nickte Kalle zu. »Dennoch möchte ich höflichst daran erinnern – unsere kriminelle Kundschaft raubt, vergewaltigt und mordet in aller Seelenruhe,
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