Die Aldi-Welt
Mülheim und Essen zu bekommen. Die vermutlich größte Erfolgsgeschichte der Nachkriegszeit vollzog und vollzieht sich unter Ausschluß der Öffentlichkeit.
Dieser Streifzug durch das Imperium der Discount-Milliardäre will denn auch eher auf das Phänomen hinweisen, als eine Enthüllung übler Machenschaften sein: Das ist Aufgabe der Nachrichtenmagazine, der Enthüllungsjournale, der Wirtschaftspresse. Doch die ist in einem Ausmaß stumm, daß einem dieses Schweigen schon beredt anmuten könnte. Selbst eifrige Leser der Wirtschaftsteile werden Mühe haben, auch nur eine substantielle Meldung über den Lebensmittelriesen zu finden. Natürlich verläßt keine Pressemitteilung freiwillig die Konzernzentralen in Mülheim und Essen. Was nicht heißen muß, es gäbe nichts zu berichten. Aber Verschwiegenheit ist in der Aldi-Welt keine Zier, sondern oberstes Gebot.
Aufgebaut wurde dieses Imperium mit einer einzigen Idee: besser und billiger als die Konkurrenz zu sein. Die Kosten dafür zahlen Zulieferer, Konkurrenten und Angestellte, der Kunde wähnt sich allzeit im Pfennigparadies. Einem Paradies freilich mit vielen Schattenseiten. Ein Paradies auch, das im Mangel des Auftritts den Überfluß suggeriert. Ein endloses Spiel, das nur von Samstagmittag bis Montagfrüh unterbrochen werden muß: Morgens sind die Regale gerammelt voll, und abends fegt der Filialleiter die traurigen Reste weg wie nach der Schlacht am kalten Büffet.
Wir sind, was wir essen; und weil vor dem Essen im Normalfall nicht mehr die Jagd oder die Ernte, sondern der Einkauf im Supermarkt kommt, sind wir ziemlich genau ein Abbild dessen, was uns die Gebrüder Albrecht als Speerspitzen industrieller Fütterung in wöchentlicher, schöner Regelmäßigkeit anbieten: Normierte Kostgänger in einer Gesellschaft, die alles nach Massen bemißt – von der Tierhaltung bis zur Sportart, vom Fernseheinerlei bis zur Übellaunigkeit. Aldi ist der Hoflieferant der Massengesellschaft. Das Discount gewordene Super-Gen des Konsumismus, offenbar schwer zu klonen, ist in seinem zurückweisenden Charme ein Bestandteil der Alltagskultur. Das hat auch das laue Lüftchen des Zeitgeists bemerkt, vor dessen Trendsuchradar niemand sicher ist: Aldi wurde in den Zeiten der neuen Bescheidenheit, als alles »lean« wurde – vom Management bis zur Produktion bis zum Arbeitsmarkt –, plötzlich »hip«. Sechzehn Jahre Kohl, das bedeutet auch 16 Jahre litaneihafte Kanzlerforderung, den Gürtel enger zu schnallen. Das hat dann doch seine Wirkung getan. Heute schnallt ein unfreiwillig rekrutiertes Millionenheer von Arbeitslosen und Sozialhilfeempfängern, die sogenannten unteren Einkommensklassen, täglich den Gürtel beherzt enger – und verköstigt sich der Not gehorchend bei Aldi. Aber auch der Mittelstand hat längst seine Zurückhaltung gegenüber den lieblosen Discounthallen abgelegt.
In dem Maß, wie der Sozialismus den Bach der Geschichte hinabgespült wurde, ist Aldi heute mehr denn je ein Modell, das jedem Sozialdarwinisten feuchte Augen bescheren würde: Auf einem zunehmend brutaler werdenden Weltmarkt, dem unter ständigen Absingen der heiligen Worte Globalisierung und shareholder value geopfert wird, sind die Hohenpriester des Pfennigfuchsens aus Mülheim und Essen längst auf der Siegerstraße. Von Aldi lernen, heißt siegen lernen: Die Aldisierung des täglichen Lebens wirkt wie ein Nervengift: Wenn seine Wirkung spürbar wird, ist es meist zu spät.
Und noch ein Vorspruch ist nötig, damit keine Mißverständnisse aufkommen. »Aldi informiert« (siehe Kapitel 2) ist ein Zitat aus der wöchentlichen Zeitungsannonce. Damit hat es sich mit der Information. Denn über diese Seite hinaus wird nicht informiert, sondern verschwiegen, verschleiert, vertuscht. Wirtschaftsjournalisten müßten von Berufs wegen davon eigentlich ein Lied singen können; aber wenn sie es denn tun, ist es ein sehr leises Lied, im Vergleich zu dem Brimborium, das um andere, glamourösere deutsche Handelshäuser und Industrieunternehmen veranstaltet wird. Die publizistischen Kniefälle vor Konzernlenkern als den wahren Herren dieser Republik sind gewiß auch für das Ego befriedigender, als ein Anruf bei einer Pressestelle, die es gar nicht gibt:
Anrufer im Nordreich werden bereits von der Dame in der Zentrale abgewiesen. Pressestelle? »Gibt es nicht.« – »Ich hätte aber gern ein paar Auskünfte.« – »Kriegen Sie bei Aldi gar keine.« – »Ja wieso denn nicht?« –
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