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Die Aldi-Welt

Die Aldi-Welt

Titel: Die Aldi-Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannes Hintermeier
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finale Stadium ist fast durchschritten. Er hört die Ansage und beginnt mit der rechten Hand das Portemonnaie zu durchforsten nach Papiergeld, das dem Wort gleichkommen könnte. Ein brauner Schein taucht auf, er hält ihn dem Blaukittel entgegen, kramt sofort weiter im Kleingeldfach, vierneunundneunzig – Moment: vielleicht krieg ich’s klein zusammen… nein, reicht nicht… da ein Fünfmarkstück, die ideale Lösung, nur ein Pfennig Kleingeld Retourgeld, beinahe eine Traumsumme… er fischt die silberne Münze heraus und läßt sie erleichtert in die offene Handmuschel fallen, die der Blaukittel ihm wie eine stumme Anklage entgegenhält. Ihr Blick, ihr mittelblauer Kittelschürzenblick, der nichts fordert, nur wartet, ohne Emotion, ohne Leidenschaft, hat nur eine apathische Botschaft: Her damit, möglichst schnell, möglichst passend, du bist Vergangenheit. Und noch während er den Fünfer hinüberstreckt, Aldis williger Vollstrecker, hat sie ihm ihrerseits eine Hand mit dem Kassenzettel entgegengestreckt. Darauf liegt, lange bevor sie es hat wissen können, ein Pfennigstück. Sie muß die Gedanken, die Rechenexempel, den Inhalt des Geldbeutels erstens erahnt, zweitens analysiert und drittens vorausberechnet haben. Woher konnte sie es wissen? Was gab ihr die Sicherheit? Zigtausende von solchen Abkassierungen? Sieht sie es an den zögerlichen Suchbewegungen im Papiergeldfach, daß der Kunde eher zur großen Geste neigt und notfalls die Kleingeldlawine akzeptiert – was gewiefte Hausfrauen nie tun würden: Zu oft hat er miterlebt, wie die Profis versuchten, mit dem Herausgabetempo Schritt beziehungsweise Griff zu halten. In seltenen Fällen war das von Erfolg gekrönt. Er macht sich da gar nichts vor: Die Demütigung ist immer im Preis enthalten. Der Rauswurf naht. Im Hintergrund gleißt schon das Tageslicht durch die Scheiben. Das wirkliche Leben nach dem Opfergang. Da draußen wartet die Gegenwart, da draußen parkt das Auto, das die Einkäufe aufnehmen soll, da draußen sind Menschen, die, genau wie du, in den Konsumtempel eingetreten und ihn wieder verlassen haben.
    Der Blaukittel drückt ihm das Retourgeld in die nun seinerseits von ihm geöffnete Hand. Das besiegelt den Verlust. In diesem Augenblick verwandelt sich der Sieg des Einkaufs in einen Prozeß des Niedergangs. Ein schales Gefühl kriecht in ihm hoch. Es ist vorbei. Und noch während er versucht, den Pfennig im Portemonnaie zu verstauen, schiebt er den Gitterwagen weg vom Allerheiligsten, ohne Betreff für den Blaukittel ist er jetzt, ein Gewesener. Als hätte die Familie genug Geld zusammen, ihn auf einem Scheiterhaufen aus Sandelholz am Ufer des Ganges bestatten zu lassen – die Aldi-Welt hat er bereits verlassen, auch wenn er noch an ihrem Rand steht. Unentschlossen trudelt er in einer holprigen Traversale zur Umladefläche. Der Rest ist Umschichten. Opfergaben umladen aus dem Tempelwagen in die mitgebrachte Klappschachtel, sein treues Utensil, das ihm seit Jahren den Griff zum Pappkarton erspart. Dort hinten in der Ecke türmen sie sich zu einem unansehnlichen Berg. Den Gefallen tut er ihnen nicht mehr, auch noch die Kartonagen zu entsorgen. Die passen sowieso nie wirklich. Entweder sie sind extrem stabil, aber viel zu flach, oder sie sind zu klein, um wirklich etwas aufnehmen zu können. Zu Hause müßte er sie dann mühsam dem Altpapier zuführen. Nein, nein, in diesem Punkt ist er aus Aldi klug geworden. Mit einem Ruck wuchtet er seine Box auf den Wagen und schiebt das Gefährt auf die Ausgangstür zu. Die komplementiert ihn mit einem Schwung hinein in die Schleuse und spuckt ihn aus, genau so resolut, wie ihn die Eingangstür aufgesogen hat. Ene mene muh und draus bist du – Frischluft. Gegenwart umfängt ihn. Er blinzelt und stellt seinen Blick auf das Symbol Sonnenschein. Da steht eine alte Frau, zu warm angezogen für die Jahreszeit. In der faltigen Hand hält sie ein Markstück, das sie ihm mit einem fragenden Blick entgegenhält. Es braucht keine Worte mehr. Sie will seinen Einkaufswagen, damit sie sich keinen aus der Schlange reißen muß. Ablöse des Eintrittsgeldes. Seine Ausbeute war zufriedenstellend, guter Durchschnitt. Jetzt ist es an ihr, ein Abenteuer, dessen geheime Windungen er nie erfahren wird, zu bestehen. Er läßt sich das Geldstück in die Handfläche drücken, nickt danke, krallt sich seine Schachtel und setzt sich Richtung Auto in Gang. Ein Windstoß treibt ein achtlos weggeworfenes »Aldi informiert«-Blatt quer

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