Die Aldi-Welt
mit einem Schlag ist er da. Dieser unverwechselbare, keinem anderen Gebäude innewohnende Muff-Geruch aus Scheuermilch, Seifenlauge, Bananenstauden, Gummi und Dosenblech. Parfüm des Sozialschwachen? Alltag by Calvin Klein. Er umfängt dich. Er grüßt dich. Sagt »Aldi« zu den Neurotransmittern im Hirn, vernetztes Ziepen, die Festplatte sucht nach der Datei mit dem Beutezugmuster. Mammutjagd. Schrappschrapp. Programm geladen. Die virtuelle Jagd beginnt wie im Flugsimulator. Mann gegen Mann, Frau gegen Frau. Alle sind gleich bewaffnet. Ellbogen zur seitlichen Verteidigung, Sprintstärke und Einkaufszettel zur Vorwärtsverteidigung, Einkaufswagen als Schutzschild gegen anstürmende, mit Kindersuchtrupps aufgerüstete Horden. Der Faustkeil fürs letzte Gefecht? Die Klappschachtel Marke »Curver«, die normalerweise erst nach dem Finale zum Einsatz kommt. Sie paßt zwar in den Wagen, aber nur schief, bei Überlast (und es ist fast immer Überlast) keilt sie sich am Ende fest und man hat Mühe, sie wieder aus dem Gitterschlund zu befreien. Die Begehung des Geländes ist wie ein Aufbruch in eine kontrollierte Wildnis. Der Treck nach Westen mit einer im Kopf gespeicherten Straßenkarte. Da ragen schon die ersten Warenberge steil auf, aber noch ist das Gelände halbwegs übersichtlich: Brot zur Linken, Toastbrot, Bauernbrot, alles in Folien, Kaffee und nochmals Kaffee, Albrecht Kaffee, kann man nicht trinken, Millionen tun es doch, gegenüber ragen die Getränkedosen, die Flaschenklippen. Palettenweise dieses Cola-Imitat mit dem Namen, den man sich nie merken kann, Mineralwasser in unanständig kleinen Flaschen mit blauen Plastikschraubverschlüssen, Zeugen der Epoche der Wegwerfkultur. Haben sich irgendwann auf dem Schrottplatz der Geschichte selbst entsorgt. Erstickt im eigenen Müll, abgehustet an den giftigen Schloten ihrer MVAs. Verniedlichung Emm-Vau-Ah! Müllverbrennungsanlage. Dioxinschleudern. Wie war das im schönen Städtchen Dachau mit der Westwindzone; wo die MVA so hübsch am Autobahnzubringer steht? Da weht ein giftiger Wind, und im Städtchen, sagen die Kinderärzte, hat’s Pseudokrupp en masse. Aber wer will das schon wissen? Der Mensch erscheint im Holozän. Und verabschiedet sich kurz darauf wieder. Na, jetzt aber, du bist endgültig drin, absorbiert. Die Strömung hat dich ergriffen. Der Wagen läuft wie von selbst. Die Blicke wandern. Alles orange. Regale orange, Preistafeln aufgehelltes orange, rote Schrift, irgendwie bhagwanmäßig und echt Seventies. Preistafeln sortieren. Dreikorntoast 0,99. Becks 0,99. Selektive Wahrnehmung. An welcher Stelle gebietet der Einkaufszettel zum erstenmal einen Stopp? Cognac, Obstler, Weinbrand, Cognac, was war es gleich – Wein. Chianti 3,99, guter Chianti, Villa Alberti… was haben wir neulich gelacht, als wir rätselten, ob Alberti ein Witz auf eigene Kosten sei… gleich darauf die nackte Einsicht, daß den Brüdern wahrscheinlich der ganze Weinberg nebst Winzer und Fuhrpark gehört. Aber der Chianti ist gut; immer wieder schöne Erfolge erzielt mit Getränken von Aldi. Die Williamsbirne kredenzt nach einem üppigen Essen. Wie Schladerer, hieß es allgemein, und Christiane, die vom Schnapsbrennen auf der väterlichen Linie einiges gelernt hat, sagte sogar: besser als Schladerer. Na bitte. 17,99 gegen knapp 40 Mark. Sein Blick fällt in Bodennähe auf den obligatorischen Müller-Thurgau, dieser grauenvolle urdeutsche Urweinverschnitt, bloß weiter. Chilenischer Roter, kalifornischer Weißer. Einmal gab es, als die Pinot-Grigio-Welle Aldi gerade erfaßt hatte, einen Pinot aus dem Trentino. Autobahngewächs vermutlich, im Bleiwind der Abgase ducken sich die Rebstöcke neben der Ausfahrt Rovereto Sud; jedenfalls hatte er nach dem ersten Glas einen Anfall von allergischem Juckreiz bekommen. Manchmal hatten sie sich schon einen teuren Bordeaux gegönnt. Hatten »9,99 statt woanders bestimmt 20« gedacht. Dann entpuppte sich der Margaux als staubig, muffig, abgestanden. Plörre, überbezahlt. Anderswo, denkt er, würde einen Musik empfangen. Man würde in einen Musikteppich hineintreten. Jenes Gericht… 100 Gramm nur Einsneunzehn… « …hier ist nichts zu hören, kaum menschliche Stimmen, jeder rafft vor sich hin. Das Schlurfen der Schritte, das Rascheln von Tüten erzeugt eine sachliche Geräuschkulisse. Fernes Klicken der Kassentastaturen, Scharren von Käuferbeinen, Knistern von umgegrabenen Metallkörben mit Herrenhemden 1a-Qualität.
Ich bin verloren, denkt er
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