Die Alhambra oder das neue Skizzenbuch (German Edition)
Neffe, Manuel Molina, ist ein junger Mann von gediegenem Werth und spanischer Gravität. Er hat in der Armee, sowohl in Spanien als in Westindien gedient; allein er studirt jetzt Medizin, in der Hoffnung, einstmal Arzt in der Festung zu werden, eine Stelle, die mindestens 150 Thaler des Jahres einträgt. Was die Nichte betrifft, so ist sie ein dickes, kleines, schwarzäugiges andalusisches Fräulein, Dolores genannt, die aber, wegen ihrer glänzenden Augen und ihrer fröhlichen Laune einen heiterern Namen verdient. Sie ist die erklärte Erbin aller Habe ihrer Tante, die in gewissen baufälligen Häusern in der Festung besteht und ein jährliches Einkommen von 150 Thaler abwirft. Ich war noch nicht lange in der Alhambra, als ich entdeckte, daß eine ruhige Liebschaft zwischen dem besonnenen Manuel und seiner strahlenäugigen Base vor sich ging und daß nichts fehlte, ihre Hände und ihre Erwartungen zu vereinigen, als das Doctor-Diplom und eine Dispensation vom Pabste, wegen ihrer Verwandtschaft.
Mit der guten Dame Antonia habe ich einen Vertrag gemacht, demzufolge sie mir Kost und Wohnung gibt, während die frohherzige kleine Dolores mein Zimmer in Ordnung hält und bei dem Essen die Stelle einer Dienerin vertritt. Ferner steht mir zu Befehl ein langer, stotternder, gelbhaariger Bursche, Pepe genannt, der im Garten arbeitet und gern Bedientenstelle vertreten möchte; darin aber war ihm Mateo Ximenes, der Sohn der Alhambra, zuvorgekommen. Dieser muntere und geschäftige Bursche hat es, ich weiß nicht wie, zu machen gewußt, daß er stets, seitdem ich ihm zuerst an dem äußern Thor der Festung begegnete, um mich hockte und sich in alle meine Plane verwob, bis er sich als meinen Kammerdiener, Cicerone, Führer, Wächter und historiographischen Knappen anstellte und festsetzte; ich bin auch genöthigt gewesen, dem Zustand seiner Garderobe nachzuhelfen, damit er seinen mannigfachen Dienstverrichtungen keine Schande mache, so daß er seinen alten grauen Mantel, wie die Schlange ihre Haut, abgelegt hat und jetzt in der Festung zu seinem unendlichen Vergnügen, und zum großen Staunen seiner Kameraden in einem schmuken andalusischen Hut und Jacke erscheint. Der Hauptfehler des ehrlichen Mateo ist eine übertriebene Aengstlichkeit, nützlich zu werden. Da er sich es bewußt ist, daß er sich in meinen Dienst eingeschlichen hat, und daß meine ruhigen und einfachen Gewohnheiten seine Lage zu einer Sinecure machen, so weiß er sich nicht zu rathen, um Mittel aufzufinden, sich für mein Bestes recht wichtig zu machen.
Ich bin gewissermaßen das Opfer seiner Dienstfertigkeit; ich kann meinen Fuß nicht über die Schwelle des Palastes setzen, um die Festung zu umgehen, so ist er an meiner Seite, um alles, was ich sehe, zu erklären; wenn ich es unternehme, in den umliegenden Hügeln umherzustreifen, so besteht er darauf, mich als Wache begleiten zu wollen, obgleich ich ihn stark in Verdacht habe, er möchte wohl der Länge seiner Beine mehr vertrauen, als der Stärke seines Armes, wenn ich angegriffen würde. Bei allem dem ist der arme Bursche doch zuweilen ein unterhaltender Gefährte; er ist einfachen Herzens von unendlich guter Laune und hat die Redseligkeit und Klatschhaftigkeit eines Dorfbarbiers; auch kennt er alle Fraubasen-Histörchen des Ortes und seiner Umgebungen; worauf er sich aber am meisten zu gut thut, ist sein Vorrath von örtlichen Kenntnissen, da er die wunderbarsten Geschichten zu erzählen weiß von jedem Thurm und Gewölbe und Thorweg der Festung, denen allen er den unbedingtesten Glauben schenkt.
Die meisten hörte er, seiner eignen Auskunft zu Folge, von seinem Grosvater, einem kleinen sagenreichen Schneider, welcher fast bis zu einem Alter von hundert Jahren lebte, während deren er nur zwei Wanderungen jenseits des Umkreises der Veste gemacht hatte. Seine Werkstätte war, während des größern Theils eines Jahrhunderts der Zusammenkunftsort eines Häufchens von ehrbaren Gevattern, welche halbe Nächte hier zubrachten und von vergangenen Dingen und den wundervollen Begebenheiten und den verborgenen Geheimnissen des Palastes plauderten. Das ganze Leben, Weben, Denken und Thun dieses kleinen historischen Schneiders war auf diese Art an die Mauern der Alhambra gebunden; innerhalb derselben war er geboren, hatte er gelebt, fand er sein Auskommen; innerhalb derselben starb und ward er begraben. Zum Glück für die Nachkommenschaft ist seine Sagen-Weisheit nicht mit ihm gestorben. Der wahrheitsliebende
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