Die Amazonen von Vanga
durch den Raum. Fast war es, als wolle er alles, wofür er gelebt hatte, ehe er starb noch einmal in sich aufnehmen.
»Wo finde ich Jodrel?«
Lautlose Worte aus schwarzen, aufgequollenen Lippen waren eine unverständliche Antwort.
»Wohin ist mein Vater geflohen?« drängte Burra. »Du mußt es mir sagen!«
Dendhors Atem wurde schwächer. Haltlos fiel sein Schädel von einer Seite auf die andere, als die Amazone ihn heftig schüttelte, um die entweichenden Lebensgeister zurückzuhalten.
»Ich muß ihn finden!«
Der Alte röchelte. Noch einmal sah er Burra an, und in seinen Zügen zeichnete sich eine unverständliche Zufriedenheit ab. Vielleicht, weil die Erlösung auf ihn wartete.
»Der Ring…«, kam es tonlos aus seinem Mund.
»Was ist damit?« Burra mußte schreien, um sich verständlich zu machen.
»Er wird dich führen.«
Ein letztes Aufbäumen, ein gequältes Stöhnen.
»Geh der aufgehenden Sonne entgegen…«
Dendhor hauchte sein Leben in Burras Armen aus. Selbst im Tod hielten seine Finger den Ring noch krampfhaft umschlossen.
*
Drei Tage verweilten sie auf der Burg und übergaben den Leichnam des alten Mannes der reinigenden Kraft des Feuers. Mit Hilfe einiger Salben gelang es, Ghams Verletzungen wenigstens soweit auszuheilen, daß kein Wundfraß mehr zu befürchten war. Die Amazone ertränkte ihren Hader im Wein, der noch in den Fässern zu finden war.
Da Burra die Stallungen leer vorfand, blieb ihnen nichts anderes übrig, als zu Fuß aufzubrechen. Ihr Weg führte nach Osten, durch hügeliges, dicht bewaldetes Land. Dennoch kamen sie schnell voran. Die erste Nacht verbrachten die Amazonen in einer Flußniederung, die weithin einzusehen war und damit Schutz vor Tieren bot, die in der Finsternis zu gefährlichem Leben erwachten.
Aber alles blieb ruhig. Im Schimmer des Morgengrauens setzten sie ihren Marsch fort. Weit vor ihnen lag eine Bergkette, deren höchste Gipfel sich im Dunst des anbrechenden Tages verloren.
Langsam wich das Grau der Nacht, und der Himmel überzog sich mit einem düsteren Rot, das binnen weniger Atemzüge das halbe Firmament bedeckte. Lichtfinger geisterten über die Schroffen der Berge, die mit einemmal in Flammen zu stehen schienen.
Dann schob die Sonne sich über den Rand der Welt empor - ein riesiger, flammender Glutball, der schrumpfte, je höher er stieg.
Fasziniert starrte Burra auf das Schauspiel, das sich ihr bot. Der Anblick erinnerte sie an die Legende von der Kometenfee, die einst in Vanga und Gorgan gewirkt haben sollte. Ihre Erscheinung mußte ähnlich bewegend gewesen sein.
Wieviel habe ich versäumt auf der Insel am Rand der Großen Barriere? dachte die Amazone. Das Leben spendende Gestirn war nur eines von vielem, was man an der Grenze zur Dämmerzone nie zu Gesicht bekam.
Sie schritten zügig aus. Der Tag versprach, heiß zu werden. Schon zu früher Stunde lastete eine drückende Schwüle auf dem Land. Bis Mittag waren die Berge hinter flimmernden Luftschwaden verschwunden.
Der bislang fruchtbare Boden wurde felsig, lockeres Geröll hemmte den Schritt. Ein steiler Anstieg führte die Amazonen auf eine karge Hochebene. Als sie zurückblickten, sahen sie das Grün der Wiesen und Wälder in dräunenden Nebeln versinken.
Über ihnen spannte sich ein strahlend blauer, fast wolkenloser Himmel. Erbarmungslos brannte die Sonne herab. Das wenige Gras, das hier wuchs, verdorrte. Doch dafür gab es seltsam anmutende Pflanzen, denen die Hitze nichts ausmachte. Sie bestanden nur aus mächtigen Stämmen, die von einer dicken, lederartigen Haut überzogen waren. Ellenlange Stacheln ersetzten ihnen die Blätter. Manche waren rundum von weißen und gelben Blüten bedeckt, die Scharen von Insekten anlockten.
Mit dem Schwert schlug Gudun eine dieser Stachelpflanzen mitten durch. Klares Wasser quoll ihr aus der Schnittstelle entgegen, dessen Fluß aber gleich wieder versiegte.
Als der Tag sich zur Ruhe neigte, war ein Ende der Stein wüste noch immer nicht abzusehen. Die Amazonen wählten für ihr Nachtlager die Nähe einer Gruppe der säulenförmigen Pflanzen.
Bald verdrängte die Finsternis der Nacht den goldenen Schein der sterbenden Sonne. Es war Abmond. Nur wenige Sterne zeigten sich.
Obwohl die Hochebene unbelebt schien, bestand Burra darauf, daß man abwechselnd Wache hielt. Sie schlief ruhig und traumlos, bis sie von Gorma zur Mitternacht geweckt wurde.
Irgendwann glaubte sie, Schreie zu hören. Aber es war wohl nur das Heulen des Windes,
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