Die Ameisen
Die Soldatinnen sind gelassen. Man spürt, daß die großen Territorialkriege noch nicht begonnen haben.
Inzwischen schon ganz nah an seinem Ziel, weist sich Nr.
327 bei den Pförtnerinnen aus, dann biegt er in den letzten Gang ein, der zum königlichen Gemach führt.
Auf der Schwelle bleibt er stehen, überwältigt von der Schönheit dieses einzigartigen Ortes. Das ist ein großer, kreisrunder Saal, der nach den architektonischen und geometrischen Regeln gebaut worden ist, die die Königinnen ihren Töchtern von Antenne zu Antenne übermitteln.
Das Hauptgewölbe ist zwölf Kopf hoch bei einem Durchmesser von sechsunddreißig Kopf (der Kopf ist das Längenmaß der Förderation; ein Kopf entspricht drei Millimetern nach der gängigen menschlichen Bezeichnung).
Pilaster aus seltenem Zement stützen diesen Insektentempel, der mit der konkaven Form seines Bodens so konstruiert ist, daß die von den einzelnen Wesen freigesetzten Geruchsmoleküle so lange wie möglich abprallen, ohne in die Wände einzudringen. Das Ganze ist ein bemerkenswertes olfaktorisches Amphitheater.
In der Mitte ruht eine schwere Dame. Sie liegt auf dem Bauch und streckt von Zeit zu Zeit ein Bein nach einer gelben Blume aus. Manchmal schnappt die Blume unfreundlich zu.
Aber das Bein ist schon wieder fort.
Diese Dame ist Belo-kiu-kiuni.
Belo-kiu-kiuni, die letzte rote Ameisenkönigin der Hauptstadt.
Belo-kiu-kiuni, die bereits während des großen Krieges mit den Bienen regierte, während die Eroberung der Termitenhügel im Süden, während der Befriedung der Spinnenterritorien, während des schrecklichen Zermürbungskrieges, der ihnen von den Eichenwespen auf gezwungen wurde. Und seit dem letzten Jahr koordiniert sie die Bemühungen der Städte, dem Druck der Zwergenameisen an der Nordgrenze zu widerstehen.
Belo-kiu-kiuni, die sämtliche Rekorde an Langlebigkeit schlägt.
Belo-kiu-kiuni, seine Mutter.
Dieses lebende Denkmal liegt da, ganz nah vor ihm, wie früher. Nur daß sie jetzt von rund zwanzig jungen Dienerinnen angefeuchtet und gestreichelt wird, während sie sich einst von seinen kleinen, noch ungeschickten Beinen hat pflegen lassen.
Die junge fleischfressende Pflanze klappert mit den Kiefern, und die Königin stößt eine schwach duftende Klage aus.
Niemand weiß, woher ihre Leidenschaft für die pflanzlichen Raubtiere kommt.
Nr. 327 tritt näher. Aus der Nähe betrachtet, ist die Königin nicht besonders schön. Ihr länglicher Schnabel ist mit zwei großen, hervortretenden Augen versehen, die in alle Richtungen auf einmal zu schauen scheinen. Ihre Infrarot-51 Ozellen liegen eng beieinander mitten auf der Stirn. Ihre Antennen hingegen sitzen übertrieben weit auseinander. Sie sind sehr lang, sehr leicht und vibrieren in kurzen Stößen, die vermutlich bestens kontrolliert sind.
Seit einigen Tagen ist Belo-kiu-kiuni aus dem großen Schlaf erwacht, und seitdem hat sie nicht aufgehört. Eier zu legen. Ihr Hinterleib, zehnmal größer als üblich, wird regelmäßig von Zuckungen erschüttert. Im gleichen Augenblick legt sie acht magere, hellgraue, wie Perlmutt schimmernde Eier, die neuste Generation von Belokanerinnen. Die kreisrunde und klebrige Zukunft entweicht ihren Gedärmen, um durch das Zimmer zu kullern und sogleich von den Ammen aufgelesen zu werden.
Das junge Männchen erkennt den Geruch dieser Eier. Das sind unfruchtbare Soldatinnen und Männchen. Es ist noch kalt, und die Drüse, die die »Mädchen« erzeugt, ist noch nicht aktiv.
Sobald es das Wetter zuläßt, wird die Königin für jede Kaste legen, ganz nach den Bedürfnissen der Stadt. Arbeiterinnen werden ihr sagen, daß »Getreidebrecherinnen und Artilleristinnen fehlen«, und sie wird wunschgemäß liefern. Es kommt auch vor, daß Belo-kiu-kiuni ihre Loge verläßt und den Geruch der Gänge aufnimmt. Ihre Antennen sind fein genug, um das geringste Defizit in dieser oder jener Kaste zu registrieren.
Dann füllt sie umgehend das Personal auf.
Die Königin legt noch fünf kümmerliche Einheiten, dann wendet sie sich ihrem Besucher zu. Sie berührt ihn und beleckt ihn. Der Kontakt mit dem königlichen Speichel ist stets ein außergewöhnlicher Moment. Dieser Speichel ist nicht nur allgemein desinfizierend, sondern auch ein wahres Wundermittel, das alle Wunden heilt, ausgenommen die im Innern des Kopfes.
Wenn Belo-kiu-kiuni auch nicht imstande ist, ein einziges ihrer unzähligen Kleinen persönlich wiederzuerkennen, zeigt sie doch durch diesen Speichel,
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