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Die Ameisen

Die Ameisen

Titel: Die Ameisen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Werber
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das ihr ins Netz geht, sei zum Tode verurteilt. Dabei ist das nur zu fünfzig Prozent der Fall. Der Zeitfaktor ist ausschlaggebend.
    Man muß Geduld haben, das zu Tode erschrockene Opfer verheddert sich ganz von allein. Denn so lautet die ausgeklügelte Philosophie der Spinnen: Es gibt keine bessere Kampftechnik, als darauf zu warten, daß sich dein Opfer selbst zerstört …
    Nach einigen Minuten kommt sie näher, um ihre Beute genauer zu betrachten. Eine Königin. Eine rote Königin aus dem Reich des Westens. Aus Bel-o-kan.
    Sie hat bereits von diesem hochentwickelten Reich gehört.
    Seine Millionen von Bewohnern sind angeblich so sehr voneinander abhängig, daß sie sich nicht einmal allein ernähren können! Was hat das für einen Sinn, worin besteht da der Fortschritt?
    Eine ihrer Königinnen … Ihr ist also ein beträchtlicher Teil der Zukunft dieser unverbesserlichen Eindringlinge in die Klauen geraten. Sie mag die Ameisen nicht. Sie hat gesehen, wie ihre Mutter von einer Horde roter Wanderameisen gejagt wurde …
    Sie schielt ihr Opfer an, das sich verzweifelt wehrt. Dumme Insekten, nie kapieren sie, daß ihr schlimmster Feind die Panik ist. Mit jedem Versuch, sich loszumachen, verwickelt sich die geflügelte Ameise nur noch mehr in der Seide … Und verursacht dabei Schäden, die die Spinne ärgert.
    Bei Nr. 56 weicht die Wut der Niedergeschlagenheit. Sie kann sich praktisch nicht mehr rühren. Ihr ganzer Körper ist von der Seide umwickelt, und jede Bewegung läßt ihre Verpackung noch dicker werden. Sie kann es nicht fassen, so dumm zu scheitern, nachdem sie so viele Prüfungen überstanden hat.
    In einem weißen Kokon wurde sie geboren, in einem weißen Kokon wird sie sterben.
    Die Spinne rückt noch näher, schaut sich dabei die beschädigten Fäden an. So kann Nr. 56 aus nächster Nähe ein prächtiges orangeschwarzes Tier sehen, das mit acht grünen Augen ausgestattet ist, die wie eine Krone auf dem Kopf verteilt sind. Solche hat sie schon gegessen. Jeder ist mal an der Reihe, zum Frühstück verzehrt zu werden … Und die da, die hört nicht auf, noch mehr Seide auf sie draufzuspucken!
    Man kann seine Beute nie gut genug verschnüren, sagt sich die Spinne ihrerseits. Danach stellt sie zwei beunruhigende Giftzähne zur Schau. Doch in Wirklichkeit töten die Arachniden nicht, jedenfalls nicht sofort. Da sie lieber zuckendes Fleisch verzehren, töten sie ihr Opfer nicht, sondern betäuben es mit einem einschläfernden Gift und wecken es nur, um ein wenig daran zu knabbern. Auf diese Art haben sie ganz nach Belieben frisches, unter der seidenen Verpackung gut geschütztes Fleisch. Ein solches Mahl kann eine Woche dauern.
    Nr. 56 hat von dieser Gepflogenheit gehört. Sie erzittert. Das ist schlimmer als der Tod. Nach und nach alle Gliedmaßen amputiert bekommen … Bei jedem Aufwachen wird einem etwas abgerissen, und dann wird man wieder eingeschläfert.
    Jedesmal bleibt ein bißchen weniger übrig, bis zur Stunde der letzten Verstümmelung, wenn die lebenswichtigen Organe abgerissen werden und man endlich den befreienden Schlaf findet.
    Lieber sich selbst zerstören! Sie meidet den schrecklichen Anblick der allzu nahen Gifthaken und schickt sich an, ihren Herzschlag zu verlangsamen.
    In diesem Moment prallt eine Eintagsfliege mit solchem Schwung gegen das Netz, daß die seidenen Kanten sie sogleich umschließen, fest verpacken … Vor wenigen Minuten erst ist sie zur Welt gekommen, und in wenigen Stunden wäre sie vor Altersschwäche gestorben. Ein Leben von einem Tag, das Leben einer Eintagsfliege. Sie mußte schnell handeln, ohne nur den Bruchteil einer Sekunde zu verschenken. Wie würde man wohl sein Leben ausfüllen, wenn man wüßte, daß man am Morgen geboren wird, um noch am gleichen Abend zu sterben?
    Ihrem zweijährigen Larvendasein kaum entronnen, macht sich die Eintagsfliege auf die Suche nach einem Weibchen, um sich fortzupflanzen. Die vergebliche Suche nach Unsterblichkeit durch Nachkommenschaft. Dieser eine Tag, den die Eintagsfliege zu leben hat, wird nur von dieser Suche bestimmt. Sie denkt nicht an Essen, nicht an Ruhe, nicht daran, wählerisch zu sein. Ihr Hauptgegner ist die Zeit. Jede Sekunde ist für sie ein Widersacher. Und neben der Zeit ist selbst die fürchterliche Spinne nur ein retardierendes Moment und kein spezieller Feind.
    Sie spürt, daß das Alter mit großen Schritten in ihrem Körper fortschreitet. In einigen Stunden wird sie senil sein. Sie ist erledigt. Sie ist

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