Die Ameisen
sich Bilsheim plötzlich an einen Dokumentarfilm über Kröten. Jene sind in Liebeszeiten dermaßen erregt, daß sie auf alles springen, was ihnen in die Quere kommt: Weibchen, aber auch Männchen und sogar Steine. Sie drücken auf den Bauch ihres Partners, um die Eier hervorzulocken, die sie dann befruchten. Wer auf den Bauch eines Weibchens drückt, wird für seine Anstrengungen belohnt.
Wer auf den Bauch eines Männchens drückt, erhält nichts und wechselt den Partner. Wer auf einen Stein drückt, tut sich die Arme weh und gibt auf.
Aber es gibt einen Sonderfall: die, die auf die Erdschollen drücken. Die Erdscholle ist genauso weich wie der Bauch eines Kröten Weibchens. Also hören sie nicht auf zu pressen.
Tagelang können sie diese unfruchtbaren Versuche wiederholen. Und sie glauben, daß es nichts Besseres zu tun gibt.
Der Kommissar lächelte. Vielleicht brauchte man der guten Solange nur zu erklären, daß es auch andere, durchaus wirksamere Verhaltensweisen gab, als alles zu blockieren und Untergebene zu triezen. Aber er glaubte nicht daran. Er sagte sich, wenn jemand in dieser verflixten Abteilung fehl am Platz war, dann war er es.
Die anderen hinter ihm waren ebenfalls in düstere Gedanken versunken. Dieser lautlose Abstieg ging allen auf die Nerven.
Seit fünf Stunden gingen sie ohne Pause immer weiter. Die meisten dachten an die Zulage, die sie nach diesem Abenteuer fordern müßten; andere dachten an ihre Frau, an ihre Kinder, an ihren Wagen oder an eine Dose Bier … NICHTS: Was gibt es Angenehmeres, als das Denken einzustellen?
Endlich dieser übersprudelnden Flut von mehr oder weniger nützlichen und mehr oder weniger wichtigen Gedanken ein Ende zu machen.
Aufhören zu denken! Als wäre man tot und könnte wieder lebendig werden. Leer sein. Zum äußersten Ursprung zurückkehren. Nichts sein.
Das nenne ich ein nobles Streben.
Edmond Wells Enzyklopädie des relativen und absoluten Wissens
Die Körper der beiden Soldatinnen, die reglos die ganze Nacht auf dem schlammigen Ufer gelegen haben, werden durch die ersten Sonnenstrahlen wiederbelebt.
Eine nach der andern reaktivieren sich die Facetten der Augen von Nr. 103 683 und übermitteln ihrem Gehirn die neue Umgebung. Eine Umgebung, die einzig und allein aus einem riesigen Auge direkt über ihr besteht, das sie aufmerksam anstarrt.
Die junge Geschlechtslose stößt einen Pheromonenschrei des Entsetzens aus, der ihr die Antennen versengt. Das Auge bekommt ebenfalls Angst, es weicht hastig zurück und mit ihm das lange Hörn, von dem es getragen wird. Die beiden verstecken sich unter einer Art rundem Kieselstein. Eine Schnecke!
Ringsum sind noch mehr, fünf insgesamt, die sich unter ihrem Gehäuse verstecken. Die beiden Ameisen nähern sich ihnen, streichen um sie umher. Sie versuchen sie zu beißen, aber sie wissen nicht, wo sie ansetzen sollen. Dieses wandelnde Nest ist eine uneinnehmbare Festung.
Eine Sentenz der Königin kommt ihnen in den Sinn: Die Sicherheit ist mein ärgster Feind, sie lullt meine Reflexe und meine Entschlußkraft ein.
Nr. 103 683 sagt sich, daß diese hinter ihrem Gehäuse verschanzten Viecher ein leichtes Leben haben. Sie fressen reglose Gräser, brauchen nie zu kämpfen, zu locken, zu jagen, zu fliehen. Nie müssen sie dem Leben die Stirn bieten. Sie haben sich also nie entwickelt.
Sie packt die Lust, sie dazu zu zwingen, ihr Gehäusez u verlassen, ihnen zu beweisen, daß sie nicht unverwundbar sind.
Im gleichen Moment schätzen zwei oder fünf Schnecken, daß die Gefahr vorüber ist. Sie entlassen ihren Körper aus seinem Unterschlupf, um ihre nervliche Anspannung abzureagieren.
Sie schieben sich aufeinander zu, pressen sich Baucha n Bauch. Schleim an Schleim, vereinigen sie sich in einem klebrigen Kuß, der ihren ganzen Körper erfaßt. Ihre Geschlechtsteile berühren sich.
Es passiert etwas zwischen ihnen.
Das ist sehr langsam.
Die Schnecke rechts hat ihren aus einer kalkigen Spitze geformten Penis in die mit Eiern gefüllte Vagina der Schnecke links geschoben. Letztere, ganz weg vor Liebe, bringt ihrerseits einen erigierten Penis zum Vorschein und steckt ihn in den Partner.
Beide schwelgen in der Lust, einzudringen und zugleich durchdrungen zu werden. Ausgestattet mit einer Vagina und einem Penis darüber, können sie parallel die Empfindungen beider Geschlechter erleben.
Die Schnecke rechts hat als erste ihren männlichen Orgasmus. Sie windet sich außerordentlich und spannt sich, ihr ganzer
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