Die Ameisen
Körper ist wie elektrisiert. Die vier Okularfühler der Hermaphroditen umschlingen sich. Der Schleim verwandelt sich in Schaum, dann in Bläschen. Das ist ein sehr enger Tanz, dessen Sinnlichkeit durch die langsamen Bewegungen noch gesteigert wird.
Die Schnecke links richtet ihre Fühler auf. Sie erreicht ebenfalls einen männlichen Orgasmus. Aber kaum hat sie aufgehört zu ejakulieren, wird ihr Körper von einer zweiten, diesmal vaginalen Welle geschüttelt. Die Schnecke rechts erlebt ihrerseits die weibliche Wonne.
Ihre Fühler sinken, ihre Liebespfeile ziehen sich zurück, ihre Vaginen schließen sich … Nach diesem vollkommenen Akt verwandeln sich die Liebhaber in gleichgepolte Magneten.
Abstoßung. Ein Phänomen, so alt wie die Welt. Die beiden Maschinen zum Schenken und Empfangen der Lust trennen sich langsam, die Eier von den Spermien des Partners befruchtet.
Während Nr. 103 683 verdutzt, noch ganz unter dem Eindruck der Schönheit des Spektakels, verharrt, stürzt sich Nr.
4000 auf eine der beiden Schnecken. Sie will die postamouröse Erschöpfung ausnutzen, um dem größeren der beiden Tiere den Bauch aufzuschlitzen. Zu spät, sie haben sich wieder in ihre Gehäuse verkrochen.
Die alte Kundschafterin gibt nicht auf, sie weiß, daß sie irgendwann wieder hervorkommen werden. Sie belagert sie lange. Schließlich zwängen sich erst ein zaghaftes Auge, dann ein ganzer Fühler aus dem Gehäuse. Der Gastropode schaut nach, wie die Welt rings um sein kleines Leben aussieht.
Als der zweite Fühler erscheint, schnellt Nr. 4000 vor und beißt mit aller Kraft ihrer Mandibeln in das Auge. Sie will es heraustrennen. Aber das Weichtier zieht sich zusammen, reißt dabei die Kundschafterin mit in die Spiralen ihres Gehäuses.
Flupp!
Wie kann man sie retten?
Nr. 103 683 überlegt, schon steigt eine Idee aus einem ihrer drei Gehirne auf. Sie ergreift einen Stein mit ihren Mandibeln und beginnt mit aller Kraft auf das Gehäuse zu schlagen. Damit hat sie zwar den Hammer erfunden, aber das Schneckenhaus ist nicht aus Balsaholz. Das Klopfen ist Musik, sonst nichts. Sie muß sich etwas anderes ausdenken.
Das ist ein Glückstag, denn diesmal entdeckt die Ameise den Hebel. Sie packt einen kräftigen Zweig, ein kleiner Stein dient ihr als Achse dabei, dann benutzt sie ihr ganzes Gewicht, um das schwere Tier umzuwerfen. Sie muß es mehrmals versuchen. Schließlich schwankt das Gehäuse hin und her, dann kippt es um. Die Öffnung zeigt nach oben. Geschafft!
Nr. 103 683 erklimmt die Spiralen, beugt sich über das hohle Gehäuse und läßt sich auf das Weichtier fallen. Nach einer langen Rutschpartie landet sie auf einer braunen, gallertartigen Masse. Angewidert von dem fetten Schleim, in dem sie watet, beginnt sie das weiche Gewebe zu zerschneiden. Ihre Säure kann sie nicht einsetzen, da sie Gefahr liefe, selbst verätzt zu werden.
Eine neue Flüssigkeit mischt sich alsbald mit dem Schleim: das durchsichtige Blut der Schnecke. Das zu Tode erschrockene Tier wird von einem Krampf geschüttelt, der die beiden Ameisen aus dem Gehäuse schleudert.
Unversehrt streicheln sie einander ausgiebig die Antennen.
Die tödlich verwundete Schnecke möchte fliehen, aber sie verliert auf dem Weg ihre Eingeweide. Die beiden Ameisen holen sie und haben keine Mühe, ihr den Rest zu geben.
Erschrocken verkriechen sich die vier anderen Gasteropoden, die ihre Fühleraugen ausgefahren haben, um die Szenez u beobachten, tief in ihre Gehäuse, um sich den Rest des Tages nicht mehr zu rühren.
An diesem Morgen stopfen sich Nr. 103 683 und Nr. 4000
mit Schneckenfleisch voll. Sie zerschneiden es in Scheiben und verzehren es als lauwarmes, im eigenen Schleim schwimmendes Steak. Sie finden sogar den mit Eiern gefüllten vaginalen Beutel. Schneckenkaviar! Eine der Lieblingsspeisen der roten Ameisen, eine wertvolle Quelle von Vitaminen, Fett, Zucker und Proteinen …
Den Sozialkropf bis zum Rand gefüllt und mit Sonnenenergie aufgeladen, machen sie sich festen Schritts wieder auf den Weg nach Südosten.
ANALYSE DER PHEROMONEN (34. Experiment): Es ist mir mittels eines Massenspektrometers und eines Chromatographen gelungen, einige der Kommunikationsmoleküle der Ameisen zu identifizieren. Infolgedessen konnte ich eine chemische Analyse einer um 10 Uhr abends »abgehörten«
Kommunikation zwischen einem Männchen und einer Arbeiterin vornehmen. Das Männchen hat ein Stück Toastbrot entdeckt. Hier die Analyse dessen, was es von sich gegeben
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