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Die amerikanische Nacht

Die amerikanische Nacht

Titel: Die amerikanische Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marisha Pessl
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in Kontakt. Sie hatte in der Zwischenzeit über Astrid und ihren berühmten Mann gelesen – »Ich mag keine Horror-Filme«, erklärte sie, als ich sie fragte, wieso ihr die Namen zunächst nichts gesagt hatten –, und sie identifizierte nun die Person, die sie im Auto gesehen hatte, als Stanislas Cordova.
    Das Polizeikommissariat Bainville nahm ihre Aussage auf und ließ sie gehen.
    Millers Behauptung wurde nie nachgegangen.
     
     
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    Fahrt nach Crowthorpe Falls, NY und The Peak
    S. McGrath
    Der Besuch – 13 . April 2006 14 : 14  Uhr
     
    Natürlich stand jetzt mein eigener Besuch bei The Peak an.
    Ich stieg ins Auto, bog links in die Zufahrt ein, die – meinem Navi nach – zur 1 Country Road 112 führte und fuhr den unbefestigten Weg hinauf.
    Erst war der Weg voller Spurrillen und Schlamm, doch nach etwa sechs Metern verwandelte er sich in eine überraschend gepflegte Schotterpiste. Irgendjemand musste sich regelmäßig um diesen Weg kümmern; kein Ast, Strauch oder Unkraut störte die Fahrt. An einigen Baumstämmen waren die unteren Äste sichtbar abgesägt worden.
    Auf der rechten Seite kam ich an einem kleinen, aber auffälligen rotweißen Schild vorbei:
Privatweg, Zutritt verboten!
Es war ein warmer, gar nicht bedrohlicher Frühlingsnachmittag – über mir schien die Sonne durch die Bäume. Der Tag fühlte sich träge und schläfrig an.
    Ich fuhr um eine Kurve. Jetzt war ich mitten im Wald. Das Laub über mir war so dicht, dass ich mir vorkam wie in einem Wollpullover: schwer, knotig, und nur ab und zu eine kleine Lücke, durch die man den blauen Himmel sehen konnte. Die Luft stank auf einmal nach Benzin – wahrscheinlich brauchte mein Auto mal wieder eine Inspektion – und nach noch etwas: etwas brannte.
    Ich fuhr an einem bizarren Baum vorbei, drei üppige Stämme, die sich umeinander krümmten, was etwas pornographisch aussah.
    Mein Gott
, fragte ich mich,
war es wirklich so einfach?
    Ich kam nur noch wenige Meter weiter.
    Nach einer engen Kurve tauchte direkt vor mir ein Torhaus auf: massiv, aus Schiefer und Stahl gebaut, sechs Meter hoch. Es gab keinen Weg daran vorbei, weder im Auto noch zu Fuß. Dahinter durchschnitt ein mit Nato-Draht gesicherter Maschendrahtzaun den Wald in beide Richtungen. Ich fuhr ein Stück näher heran. Zwei kleine Überwachungskameras hingen wie Wespennester auf beiden Seiten des Tors. Ich rollte das Fenster herunter und starrte in eine von ihnen. Ich hätte schwören können, dass sich die Linse bewegte und das kleine Zyklopenauge auf mich scharf stellte.
    »Könnte ich wohl auf ’nen Kaffee reinkommen?«
    Die Worte klangen schwach und leer an diesem warmen, heiteren Nachmittag.
    Wie lebte er da oben? War das Grundstück seine Version von Michael Jacksons Neverland, Elvis’ Graceland oder Walt Disneys Magic Kingdom? Waren die Gerüchte über seinen Wahnsinn bloß Teil des Mythos? War er gar kein dunkler Prinz, sondern nur ein alter Mann, der seinen Lebensabend in Ruhe und Einsamkeit verbringen wollte?
    Vielleicht war es auch ganz anders.
Vielleicht hatte Kate Miller recht; vielleicht hatte sie Cordova am frühen Morgen des 28 . Mais 2003 auf der Rückbank des Autos gesehen. Vielleicht war er nach einem Unfall in The Peak lebensgefährlich verletzt, vielleicht sogar tot. Kate Miller, die einzige Zeugin, wurde so manipuliert, dass sie den Unfallort verließ. Astrid hatte wahrscheinlich doch ein Handy und rief sofort jemanden an – einen Bekannten oder eines von Cordovas Kindern, Theo oder Ashley – und in wenigen Minuten zogen sie Cordova aus dem Wagen und fuhren ihn weg. Lebt Cordova noch in The Peak? Ist er bettlägerig, bewusstlos, an den Rollstuhl gefesselt? Das würde die Lieferungen medizinischer Geräte erklären, die Nelson Garcia fast ein Jahr später erhielt.
     
     
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    Fahrt nach Crowthorpe Falls, NY und The Peak
    S. McGrath
    Der Besuch – 13 . April 2006 14 : 14  Uhr
     
    Ich stieg aus, machte mit meiner Digitalkamera ein Foto von dem Torhaus, stieg wieder ein und fuhr schnell die Zufahrt zurück zur Country Road 112 , an Garcias Wohnwagen und dem Müllabladeplatz vorbei.
    Ich nahm den Fuß nicht mehr vom Gas, bis ich in Manhattan im dichten Verkehr des Franklin D. Roosevelt East River Drive steckenblieb.
    Was immer die Wahrheit über Cordova und sein abgeschiedenes Leben in The Peak sein mag, er hat uns in fünfzehn schreckenerregenden Filmen gelehrt, dass unsere Augen und unser Verstand uns fortwährend

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