Die Anatomie des Todes

den Ermittlungen gegen die Familie Skarv von Nutzen sein. Aber was ihren Medikamentenmissbrauch betraf, hatte er offenbar ein Auge zugedrückt. Jedenfalls hatte er keines der zahlreichen halbleeren Pillengläser angerührt, die sich in der Tasche befanden. Maja fühlte sich zugleich peinlich berührt und erleichtert.
    Vor allem freute es sie, dass Jos Fotos noch da waren. Es war höchste Zeit, sie seiner Mutter zurückzugeben, die sehr erleichtert zu sein schien, dass die Umstände seines Todes endlich aufgeklärt waren. Jetzt konnte es Maja sich selbst als auch der Mutter gegenüber endlich rechtfertigen, dass sie die Bilder so lange bei sich behalten hatte. Sie waren stets der motivierende Faktor gewesen.
    Trotz hartnäckiger Versuche der Presse, Eva Lilleengen zu einer Stellungnahme zu bewegen, war nicht viel aus ihr herauszubekommen. Wenn sie einer Zeitung oder einem Fernsehsender ein Interview gab, dann befand sich in der Regel Pastor Melver an ihrer Seite. Maja hatte ihre Meinung über Melver geändert, nachdem sie in der Vestposten gelesen hatte, dass auf seine Initiative hin ein ehemaliges Tattoostudio im Heringsviertel zu einem Heim für Obdachlose umgebaut
worden war. Maja vermutete, dass Eva Lilleengen dies finanziert und damit mehr erreicht hatte, als die Elge-Loge und der Liberale Frauenverband in vielen Jahren.
    Â»Soll ich dich nicht zum Flughafen fahren?«, fragte Stig, als Maja ihren Koffer packte.
    Sie schüttelte den Kopf. »Ich glaube, wir sollten uns lieber hier voneinander verabschieden.«
    Sie umarmten sich lange. Keiner von ihnen schien der Erste sein zu wollen, der die Umarmung löste. Sie nahm seinen Duft wahr. Es war ein angenehmer Duft, den sie vermissen würde.
    Â»Ich rufe mir jetzt ein Taxi«, sagte sie schließlich.
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    Die Stadt, die unter ihr lag, war so grau wie üblich. Von hier aus wirkte es so, als seien die Ereignisse der letzten Zeit spurlos an ihr vorübergegangen, so unspektakulär und unnahbar sah sie aus. Betrachtete man hingegen das schäumende Meer, das gegen die Klippen schlug, dann schien sie äußerst verwundbar zu sein. Als sei es nur eine Frage der Zeit, wann ihre selbstgewählte Isolation ein Ende finden würde.
    Im Bauch eines großen weißen Wals war sie einst an diese Küste gelangt. Nun brachte sie ein silberner Zugvogel wieder nach Hause. Langsam verschwanden die Stadt, die Montagehalle B und Hildegun II unter den Wolken. Sie wusste, dass sie niemals zurückkehren würde, und stellte sich vor, wie Stig, Peik und sämtliche Bohrarbeiter in diesem Moment auf der Plattform standen und ihr mit ihren weißen Helmen zum Abschied zuwinkten.
    Sie wunderte sich über das flaue Gefühl, das ihr zu schaffen machte. Das Fliegen bereitete ihr normalerweise keine Probleme. Diese Übelkeit am Morgen konnte eigentlich nur eines bedeuten.

Die Originalausgabe
Før stormen erschien 2007
bei Gyldendal, Kopenhagen
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    Vollständige deutsche Erstausgabe 12/2009
Copyright © 2007 Michael Katz Krefeld & Gyldendal
Copyright © 2009 by Wilhelm Heyne Verlag, München
in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Redaktion: Claudia Alt
Umschlaggestaltung: Eisele Grafikdesign, München
Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling
    eISBN 978-3-641-12248-5
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    www.heyne.de
    www.randomhouse.de