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Die andere Haut: Roman (German Edition)

Die andere Haut: Roman (German Edition)

Titel: Die andere Haut: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carmen Schnitzer
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Kapitel 1
Über den Wolken
    „Wenn du in mir bist, und dir meine Seele und mir dein Körper gehört, wo ist dann der Unterschied, wenn ich ihn nicht kennen will, wir lösen uns auf, wir verbrennen, hast du Angst? Ja, ja!, unsere Finger umschlungen, du verschließt mir den Mund, damit ich vergesse, und meine Liebe bleibt in mir, wie unterdrückte Tränen, besiegt.“ Das schrieb Lara damals in ihr Tagebuch und danach lange nichts mehr.
    Heute Nacht träumt sie, in einer kurzen Phase des Schlafs: Sie schwimmt in einem Meer aus Milch. Es gibt kein Ziel, nur fordernde Hände in der Tiefe und am Himmel einen Schmetterling, durchsichtig wie ein Diamant. Sie weiß nicht, wen sie da küsst in Gedanken und ob sie droht zu ertrinken. Ist jemand bei ihr, oder ist sie allein? Angst hat sie nicht, aber was sagt das schon. Die Sonne leuchtet violett und ist durchsetzt von glitzernden Sternen. Etwas passiert, vielleicht verschwindet sie.
    Um sechs klingelt der Wecker.
    Zum dritten Mal reist sie nun in sein Land. Ein Land, das nie das ihre sein wird und das doch eine Sehnsucht in ihr geweckt hat wie kein anderes zuvor. Sieben Jahre ist es her, dass Lara das letzte Mal diese rund 10.000 Kilometer über den Atlantik geflogen ist. Ricardos Sprache spricht sie noch leidlich gut. Sie hatte viel vergessen, doch zur Vorbereitung auf diese Reise hat sie spanische Geschichten gelesen und Gedichte, auch seine alten Briefe und die Ausdrucke seiner Mails. Laut, allein, in ihrem Zimmer, wenn David nicht zu Hause war. Auch gesungen hat sie zu den Liebesliedern auf der CD, die Ricardo ihr geschenkt hatte, bei ihrem ersten Abschied, damals, vor einer Ewigkeit, in einer Zeit, die sich manchmal anfühlt wie nicht passiert. Wie Momentaufnahmen eines Traums, das Aufflackern eines Lebens, das hätte sein können, aber nicht ist.
    „Ich dachte, wir sehen uns nie wieder“, sagte er, als sie drei Jahre später wieder vor ihm stand, und ihr war, als glitzerte eine Träne in seinem Augenwinkel. Mag sein, dass sie sich das einbildet, so ist das mit den ungelebten Lieben, mehr noch mit den halb gelebten. Lara fantasiert, und vielleicht entsprechen ihre Fantasien der Wahrheit, vielleicht auch nicht. Oft genug erfährt man ja niemals, ob man auch selbst Teil eines Traumes ist, einer Sehnsucht, einer Liebe aus Zucker und Sand, die zerrinnt, sobald man sie zu greifen sucht.
    Zucker und Sand? Sie schimpft sich albern. Das Geheimnis so vieler Lieben liegt schlicht in dem Unvermögen, miteinander zu sprechen. Tausend Gründe dafür, Schüchternheit, Mangel an Gelegenheiten, eine moralische Haltung oder ein Ozean, der die Liebenden trennt, verschiedene Kulturen und Sprachen ... Es ist so banal, dass sie lachen sollte. Stattdessen dieses Brennen und dieses klopfende, klopfende Herz.
    Er weiß nicht, dass sie auf dem Weg zu ihm ist. Sie weiß es ja selbst nicht wirklich. Vielleicht sollte sie ihn gar nicht treffen, ihn zu sehen würde vielleicht ein Chaos auslösen oder – schlimmer noch – überhaupt nichts. So oder so könnte es etwas zerstören, will sie das riskieren, vielleicht sollte sie sich mit seinem Land begnügen, vielleicht ... Sie erschrickt, als sie das denkt, vielleicht ist er umgezogen, es ist so lange her, es könnte sein, vielleicht hat er eine Europäerin geheiratet wie sein Bruder und lebt mittlerweile in Holland, Spanien oder Schweden. Es wäre möglich, gar nicht mal unwahrscheinlich, viele seiner Landsleute träumen von einem besseren Leben am anderen Ende der Welt, warum nicht auch er ... Sie schluckt. Wickelt eine lange, rotbraune Haarsträhne um den Finger und zieht daran, als könne der Schmerz auf der Kopfhaut etwas überlagern oder ordnen. All ihre Gedanken und Fragen.
    Liebt sie Ricardo noch? Trotz David? Mag sein. Kann man das Liebe nennen,was zwischen ihnen war,was zwischen ihnen ist? Sie kennt ihn ja kaum noch,und was sie damals kannte,war letztlich vielleicht nur seinAbbild im Zerrspiegel ihrer Begierde. Gehören zum Kennenlernen Worte? Ihnen fehlten so viele, so vieles hat sie ihm sagen wollen, und in ihrem mittelmäßigen Spanisch blieb davon nur ein Gerüst. Aber vielleicht hat er trotzdem verstanden, ihr kam es so vor; ist das Liebe? Heißt Liebe kennen oder glauben, wissen oder vermuten, leben oder träumen oder nichts von alledem?
    Im Flugzeug hat sie noch nie Alkohol getrunken, doch jetzt bestellt sie einen Sekt. Er steigt ihr sofort ins Blut. Sie will Ricardo vergessen – kein guter Ort dafür, der Flieger zu ihm; ob es

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