Die andere Haut: Roman (German Edition)
Pause. Die drei Neuen werden umringt. Steffen aus Köln. Michelle aus Texas und Lara. Woher kommt ihr, wie lange bleibt ihr, was hat euch hierher verschlagen? Ein internationales Grüppchen lernt hier Spanisch:
John, der muskulöse Banker aus New York.
Die quirligen Studentinnen Sandra und Judy aus Melbourne, die beinahe aussehen wie Zwillinge mit ihren rotblonden Lockenköpfen und randlosen Brillen. Ja, das hörten sie öfter, doch nein, nur Freundinnen seien sie.
Katy und Mike aus London, frisch von der Uni und gleich darauf dem Standesamt. Jetzt auf Hochzeitsreise.
Veronica aus Brüssel, eine stille Schöne mit glattem dunklen Haar und großen, fragenden Augen.
Toto aus Basel, ein Einzelgänger mit Lachfältchen im ledrig braungebrannten Gesicht.
Tami aus Malmö, angehende Fotografin mit KatzenaugenLidstrich und blondiertem Pixie-Schnitt.
Schließlich Emmas Freundin Tine, ein wenig zarter gebaut als diese, doch beinahe ebenso laut, hoppla, jetzt kommen wir! Zusammen sind sie eine echte Herausforderung.
Könnte eine lustige Zeit werden, denkt Lara.
Kurz trifft sie Ricardos Blick. Er steht mit den anderen Lehrern zusammen, einen Kaffee in der einen Hand und ein Hefegebäck in der anderen. Für hiesige Verhältnisse ist er ein Riese, er überragt sie alle um mindestens einen halben Kopf,
„Der gefällt dir wohl“, flüstert Katy und Lara grinst. Noch macht er sie nicht verlegen, noch erhofft sie sich bestenfalls einen kleinen Urlaubsflirt, sie ist kein Kind von Traurigkeit, wie man so schön sagt. „Schlecht ist er nicht“, antwortet sie. „Aber ein Weiberheld“, vermutet oder weiß die Engländerin. „Ich will mich ja nicht verlieben“, unterbricht Lara sie. Sie will es wirklich nicht. Ihre letzte Beziehung hat sie vor eineinhalb Jahren beendet, sie fühlt sich wohl mit ihrer Freiheit. Was man halt so Freiheit nennt. Ihre Nächte verbringt sie allein, mit Freunden oder zu zweit. Seit ein paar Wochen hält sich die lose Liaison mit ihrem Kommilitonen Marcel, den sie fröhlich ihren „Liebhaber“ nennt, weil ihr der hübsch verruchte Beigeschmack des Wortes gefällt. Traumloses Leben, ihr Herz in Watte gepackt, die Zeit wird kommen, da sie es befreien will.
Jetzt, hier in Südamerika, scheinen sie um sie zu flirren, die Traumfetzen der anderen, sie sieht in leuchtende Augen, sieht Neugier und Sehnsucht und Lust auf Abenteuer. Ist sie eine von ihnen oder nicht? Liest sie deren Gedanken oder ihre eigenen, ist sie dabei, sich selbst zu entgleiten? Zu finden, tatsächlich? Wer weiß.
Zwischen Anfang 20 und Anfang 30 sind sie hier fast alle. Lara gehört zu den jüngeren. Der älteste ist der 44-jährige Weltenbummler Toto, dessen Auszeit vom Alltag nun schon Jahre andauert, während die anderen sie als Episode genießen. Ein paar Wochen oder Monate Pause vom Planen, Aufschub, verlagern wir Entscheidungen und Pflichten auf später.
Für den Abend verabreden sich die meisten in einer kleinen Cocktailbar im „Gringolandia“, der Touristen-Gegend, in der auch Lara wohnt, ein paar Straßen voller Traveller-Pensionen, Internet-Cafés und Kneipen. Als sie die Schule verlässt, beginnt es zu regnen.
Natürlich tut einige Stunden später der Rum im Mojito sein Übriges, um Lara zum Schmelzen zu bringen, die Luft wird weicher, die Blicke schmeichelnder, Menschen um sie herum, die sie kaum kennt, englisch-spanisch-deutsches Sprachgewirr, alle verbunden durch die Tatsache, hier fremd zu sein und jung. So eine Ahnung: Irgendwo lockt das Leben im Überfluss.
„Morgen Nachmittag ist Tanzkurs an der escuela, kommst du auch?“ fragt Sandra. Die Schule bietet jeden Nachmittag Programm. Schüler und Lehrer unternehmen Ausflüge zu nahen Märkten oder Vulkanen, gucken südamerikanische Filme, spielen Fußball, kochen in Kursen landestypische Gerichte, erfahren Anekdoten aus der Geschichte des Kontinents oder eben, wie man Merengue und Salsa tanzt. „Wahrscheinlich schon“, antwortet Lara und nickt.
„Der Lehrer ist Ricardo“, raunt Katy ihr zu. Judy und Sandra schnappen die Neuigkeit auf, gierig, aha, die neue Deutsche ist scharf auf den Lehrer. Emma brüllt lachend: „Hahaha, pass auf, du kleines Luder, der gehört dir nicht allein!“ Was soll’s, hier muss Lara nichts peinlich sein, und so stellt sie sich bereitwillig den Fragen. Im Grunde gibt es ja ohnehin nichts zu erzählen. „Er sieht halt gut aus“, sagt sie.
„Mein Typ ist er nicht.“ Judy schüttelt sich. „Ich mag mehr diese
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