Die Anderen - Das Erbe erwacht (German Edition)
der Junge an und Russell gönnte sich den Spaß. Seine Augen glühten für einen kurzen Moment rot auf, woraufhin der Junge sich erschrocken zu seiner Mutter umwandte und heftig an ihrem Ärmel zu zerren begann.
Zufrieden grinste Russell und schritt gelassen davon, während hinter ihm die Mutter ihren Sohn ausschimpfte, dass er nicht immer solche Gruselgeschichten verbreiten sollte und sie ihm tausendmal gesagt hatte, er solle Papas Horrorvideos nicht anrühren.
Die kleine Episode versöhnte Russell damit, dass er dieses Mal auf so wenig stilechte Weise nach Lüneburg gekommen war. Leider verfügte er als Halbdämon über keine ledernen Schwingen und ihm blieb nur die menschliche Art der Fortbewegung. Er verfluchte sich dafür, dass er nicht mit dem Auto gekommen war, erinnerte sich jedoch zu gut daran, was letztes Mal passiert war. Dumme, neugierige Polizisten hatten ihn mit dem gestohlenen Cabrio angehalten und ihn tatsächlich nach seinem Führerschein gefragt. Einen köstlichen Moment lang hatten sie sehr überrascht reagiert, als er ihnen sein bestes dämonisches Lächeln geschenkt hatte. Vermutlich hatte man ihnen nie beigebracht, wie man sich gegen einen Angreifer mit einem Gebiss voller scharfer Zähne und den Reflexen eines Dämons verteidigte.
Russell lächelte versonnen. Voller ungläubiger Angst hatten sie ihm zugegebenermaßen besonders gut geschmeckt. Ihr Verschwinden hatte allerdings leider recht viel Aufsehen erregt. Mit ein Grund, warum man auf solche Opfer verzichten sollte, dachte er seufzend. Dave hatte es ihm oft genug gesagt. Besser unauffällig bleiben, Opfer, die keiner so schnell vermisste und vor allem keine Spuren hinterlassen.
Eingedenk dessen hatte er sich diesmal eben in einen Zug gesetzt. Nur welcher echte Dämon fuhr schon mit dem Zug? Russell, der sich selbst mehr als Dämon sehen wollte, war das wirklich peinlich. Zu seinem Glück würde es wohl kein Anderer mitbekommen.
Russell schaute auf den Zettel, den ihm Daves Sekretärin mitgegeben hatte. Er hatte mit der Sekretärin ein wenig geflirtet und erfahren, dass Dave vor einigen Wochen geschäftlich nach Lüneburg gegangen war, jedoch nicht gesagt hatte, wann er wiederkommen würde. Dieser Gauner hatte sich tatsächlich hier eine Wohnung gekauft. Bereitwillig hatte die Sekretärin ihm die Adresse gegeben, unter der Dave erreichbar sein sollte. Nur, was er hier wollte, das hatte Russell nicht herausfinden können. Er vermutete, dass es mit diesem merkwürdigen Menschen zusammenhing, den Dave sich letztlich genehmigt hatte und den er doch wahrhaftig danach laufen gelassen hatte. Ein seltsames Verhalten. Es passte so gar nicht zu dem alten Dämon.
Russell war wirklich neugierig geworden. Viele lange Jahre kannte er Dave schon, aber ein solches Verhalten widersprach allem, was ihn der alte Dämon selbst gelehrt hatte.
Was hatte Dave nur vor? Russell war erpicht darauf, es herauszufinden. Zudem langweilte er sich alleine in Hamburg.
Russell fand ein Taxi und nannte dem Fahrer die Adresse. Der Fahrer, ein türkischer junger Mann nickte eifrig und fuhr los. Während der Fahrt genoss Russell den leichten Geruch von Angstschweiß, der dem Taxifahrer unerklärlicherweise über den Rücken lief. Immer wieder blickte der sich nach seinem Fahrgast um und war noch nie in seiner bisherigen Karriere so froh gewesen, einen Gast loszuwerden.
Russell stand nun vor dem modernen Haus und betrachtete stirnrunzelnd das Gebäude. Daves Wohnung befand sich im obersten Stock, dort schien alles dunkel zu sein. Seufzend zuckte er mit den Schultern und schritt zur Haustür. Dave schien tatsächlich nicht da zu sein, denn niemand öffnete auf sein Klingeln hin. Mehrere Minuten überlegte Russell, ob er noch einmal versuchen sollte, Dave anzurufen, aber da der auch auf die letzten Anrufe nicht reagiert hatte, erschien das ziemlich sinnlos. Er würde wohl warten müssen, bis der Dämon von seinem Nachtmahl zurückkehrte.
Erneut seufzte Russell genervt und verschmolz langsam mit den Schatten des Hauseingangs. Er hasste es zu warten, er war kein geduldiger Mensch. Kein geduldiger Dämon, korrigierte er sich hastig selbst. Dabei war das eine besonders gute dämonische Eigenschaft, zu lauern, zu warten, bis das Opfer sich näherte. Heute war er ein Dämon, der auf einen anderen Dämon wartete. Russell kicherte vor sich hin. Was für eine verrückte Sache.
***
Fahles Vollmondlicht beleuchtete skurrile Skulpturen in einem kleinen Vorort Lüneburgs und
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