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Die Angst im Nacken - Spindler, E: Angst im Nacken

Die Angst im Nacken - Spindler, E: Angst im Nacken

Titel: Die Angst im Nacken - Spindler, E: Angst im Nacken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erica Spindler
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schien leer zu sein. Der Fernseher lief, war aber ohne Ton. Eine Zigarette brannte im Aschenbecher auf der Armlehne des Sessels, und ein Kringel beißender Rauch stieg zur Decke.
    Ich muss los! Ich muss rennen!
    Bei dem Gedanken setzte sie sich auch schon in Bewegung. Sie erreichte die Haustür, entriegelte sie und riss sie auf. Mit einem leisen, unwillkürlichen Aufschrei taumelte sie in die dunkle, sternenlose Nacht und begann zu rennen, blindlings, schluchzend, über verdorrte Erde und durch ein Dickicht. Sie fiel kopfüber in einen Graben, zog sich wieder heraus, rappelte sich auf und lief weiter.
    Sie erreichte eine verlassene Straße. Und sofort keimte Hoffnung in ihr. Hier musste jemand sein, irgendwer …
    Im selben Moment kam ein Auto den Hügel herauf. Seine Scheinwerfer durchschnitten die Dunkelheit, trafen auf sie. Sie stand wie erstarrt, zitternd, zu schwach und erschöpft, um auch nur zu winken. Die Lichter kamen näher, der Fahrer hupte.
    „Helft mir!“ flüsterte sie und fiel auf die Knie. „Bitte, helft mir!“
    Das Auto kam mit kreischenden Rädern zum Stehen. Eine Tür ging auf, Schritte auf dem Asphalt.
    „Frank, nein!“ bat die Frau. „Was ist, wenn …“
    „Um Himmels willen, Donna, ich kann nicht einfach … Oh mein Gott, es ist ein Kind!“
    „Ein Kind?“ Die Frau stieg aus dem Wagen. Harlow hob den Kopf, und die Frau japste: „Du lieber Himmel, sieh dir ihr rotes Haar an. Sie ist es. Die Kleine, nach der alle suchen. Harlow Grail.“
    Der Mann gab einen ungläubigen, skeptischen Laut von sich. Er sah sich um, als werde ihm plötzlich klar, dass sie in Gefahr sein könnten.
    „Das gefällt mir nicht“, sagte die Frau ängstlich. „Lass uns weiterfahren.“
    Der Mann stimmte zu. Er hob Harlow hoch und hielt sie vorsichtig auf den Armen. „Es wird alles gut“, tröstete er leise auf dem Weg zu seinem Auto. „Wir bringen dich heim. Du bist in Sicherheit.“
    Harlow ließ sich zitternd an ihn sinken und wusste, dass sie sich nie wieder sicher fühlen würde.

1. KAPITEL
    Mittwoch, 10. Januar 2001,
    New Orleans, Louisiana.
    „Timmy! Nein!“
    Anna saß kerzengerade im Bett, in kalten Schweiß gebadet. Timmys Name und ihr Schrei schienen von den Schlafzimmerwänden zurückzuhallen.
    Erschrocken zog sie sich die Bettdecke unters Kinn und sah sich ängstlich um. Als sie eingeschlummert war, hatte die Nachttischlampe noch gebrannt. Sie schlief immer bei Licht. Doch jetzt war alles dunkel. Die Schatten in den Zimmerecken schienen sie zu necken. Versteckte sich dort jemand? Wenn ja, wer?
    Kurt. Er holte sie, um zu beenden, was ihm vor dreiundzwanzig Jahren nicht gelungen war. Um sie zu strafen – für ihre Flucht und das Durchkreuzen seiner Pläne.
    Bereit oder nicht, es geht los.
    Anna sprang aus dem Bett und lief den Flur hinunter ins Bad. Sie konnte gerade noch den Toilettendeckel hochreißen, beugte sich vor und übergab sich, bis ihr Magen leer war.
    Sie wischte sich den Mund mit einem abgerissenen Streifen Toilettenpapier ab, den sie in die Toilette warf und abzog. Ihre rechte Hand schmerzte. Sie brannte, als hätte Kurt ihr soeben den kleinen Finger abgetrennt, um ihn als Warnung an ihre Eltern zu schicken.
    Doch dieses Verbrechen war vor einer Ewigkeit geschehen. Sie war noch das Kind Harlow Anastasia Grail gewesen, die kleine Hollywoodprinzessin. Heute hatte sie eine andere Identität.
    Sie drehte den Hahn am Waschbecken auf und wusch sich das Gesicht mit kaltem Wasser.
    Sie lebte in Sicherheit, in ihrem eigenen Apartment. Außer zu ihren Eltern hatte sie alle Verbindungen zu ihrer Vergangenheit gekappt. Keiner ihrer Freunde oder Geschäftspartner kannte ihre wahre Identität. Nicht mal ihr Verleger oder ihr Literaturagent. Sie war jetzt Anna North, und das schon seit vielen Jahren.
    Selbst wenn Kurt nach ihr suchen sollte, würde er sie nicht finden. Sie zog das Handtuch aus der Ringhalterung und trocknete sich das Gesicht. Kurt würde nicht nach ihr suchen. Dreiundzwanzig Jahre waren vergangen. Das FBI war damals sicher gewesen, dass der Mann, den sie als Kurt kannte, keine Gefahr für sie darstellte. Sie glaubten, dass er nach Mexiko geflohen war. Die Entdeckung von Monicas Leiche in der Grenzstadt von Baja California sechs Tage nach ihrer Flucht hatte diese Annahme gestützt.
    Verärgert über ihre Angst, warf sie das Handtuch auf die Ablagefläche. Wann würde sie das alles endlich hinter sich lassen? Wie viele Jahre mussten noch vergehen, ehe sie ohne Licht schlafen

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