Die Angst im Nacken - Spindler, E: Angst im Nacken
konnte?
Wenn Kurt gefasst worden wäre, hätte sie ihn vergessen und nie mehr darüber nachgedacht, ob er sich rächen wollte. Ihre Flucht hatte die Lösegeldübergabe hinfällig gemacht. Vermutlich hatte er sie verflucht.
Sie betrachtete sich streng im Spiegel. Wenn sie ihre Albträume schon nicht kontrollieren konnte, dann wenigstens ihr Leben. Sie hatte nicht vor, sich von ihren Ängsten beherrschen zu lassen.
Wieder im Schlafzimmer, holte sie Shorts aus der Kommode und zog sie zu ihrem T-Shirt an. Da sie nicht schlafen konnte, wollte sie wenigstens arbeiten. Sie hatte eine neue Idee für eine Geschichte. Warum nicht jetzt damit anfangen? Aber zunächst brauchte sie Kaffee.
Auf dem Weg in die Küche kam sie an ihrem Büro vorbei – ein Schreibtisch in der Ecke des Wohnzimmers – und schaltete den Computer ein. Im Flur ging sie zur Wohnungstür und prüfte gewohnheitsmäßig den Sicherheitsriegel.
Im selben Moment pochte jemand an die Tür, und sie sprang erschrocken zurück.
„Anna! Ich bin es, Bill …“
„Und Dalton!“
„Alles in Ordnung bei dir?“
Bill Friends und Dalton Ramsey, ihre Nachbarn und besten Freunde. Gott sei Dank!
Sie öffnete, und die beiden standen besorgt im Flur. Von dort kam auch das Jelpen von Judy und Boo, den beiden Hunden des Paares. „Was um alles in der Welt … du hast mich zu Tode erschreckt.“
„Wir hörten dich schrei…“
„Ich hörte dich schreien“, korrigierte Bill. „Ich war auf dem Rückweg …“
„Er hat mich sofort geholt.“ Dalton hielt eine kleine Marmorbuchstütze hoch, eine Kopie von Michelangelos David. „Den habe ich mitgenommen, nur für alle Fälle.“
Anna unterdrückte ein Lächeln. Sie stellte sich vor, wie Dalton – in den Fünfzigern und sanftmütig – ein Stück Marmor gegen einen Einbrecher schleuderte. „Für welche Fälle? Dass meine Bibliothek aufgeräumt werden muss?“
Bill kicherte, Dalton schniefte pikiert. „Für den Fall der Verteidigung natürlich.“
Zur Verteidigung gegen einen Einbrecher, der längst über alle Berge ist, bis meine Freunde sich gesammelt, eine Waffe ausgewählt und sich zu meiner Tür durchgeschlagen haben. Dem Himmel sei Dank, dass ich nie wirklich Hilfe gebraucht habe.
Sie verkniff sich ein Lachen und schwang die Tür weiter auf. „Ich danke für eure Fürsorge. Kommt herein, ich mache uns Kaffee zu den Beignets.“
„Beignets?“ fragte Dalton unschuldig. „Ich weiß gar nicht, wovon du sprichst.“
Anna drohte mit dem Zeigefinger. „Netter Versuch, aber ich rieche sie. Weil ihr mir zu Hilfe gekommen seid, müsst ihr sie zur Strafe mit mir teilen.“
Beignets, die schmalzgebackenen, üppig mit Puderzucker bestreuten Teigrechtecke machten – wie alles in New Orleans – süchtig.
Und sie waren bestimmt nicht für Leute wie Dalton geeignet, der angeblich auf sein Gewicht achtete.
„Er hat mich dazu verleitet“, sagte er beim Eintreten mit einem vorwurfsvollen Blick zu Bill. „Du weißt, ich schlage nie solche Schwelgereien vor.“
„Richtig.“ Bill verdrehte die Augen. „Und wessen Figur deutet eine gewisse Neigung zu Schwelgereien an?“
Dalton wandte sich Hilfe suchend Anna zu. Bill war zehn Jahre jünger als er, schlank und athletisch. „Das ist nicht fair. Er isst alles und setzt nicht an. Ich esse nur eine Winzigkeit und …“
„Winzigkeit? Hah! Frag ihn nach den Knabbereien.“
„Ich hatte einen schlechten Tag. Ich brauchte etwas, um mich aufzumuntern.“
Anna hakte sich bei beiden unter und führte sie in die Küche. Ihr Albtraum war schon fast vergessen. Die beiden brachten sie stets zum Lachen. Es erstaunte sie immer wieder, dass diese unterschiedlichen Typen ein Paar waren. Sie erinnerten sie an einen Pfau und einen Pinguin. Bill war unverblümt und manchmal provozierend, Dalton hingegen ein spröder Geschäftsmann, dessen Pingeligkeit oft ziemlichen Wirbel verursachte. Trotz aller Unterschiede waren sie seit zehn Jahren zusammen.
„Ich weiß nicht, wer schuld ist an der Schwelgerei, ich bin nur froh, dass jemand die Idee dazu hatte. Eine Beignet-Orgie morgens um zwei ist genau das, was ich brauche.“
Vor allem aber war sie dankbar für die Freundschaft der beiden. Sie war ihnen in ihrer zweiten Woche in New Orleans begegnet, als sie sich auf eine Anzeige als Verkäuferin in einem Blumenladen im French Quarter gemeldet hatte. Obwohl sie keine besondere Erfahrung mitbrachte, war sie immer sehr geschickt im Arrangieren von Blumen gewesen. Außerdem
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