Die Angst verfolgt dich bis ans Ende (Thriller) (German Edition)
ich mein eigenes Gesicht - ich meine, das Gesicht, das ich damals, als William Delaney hatte - in der Reihe..."
"Bist du immer noch in dieser Reinkarnationstherapie?"
fragte Lynne.
"Nein. Ich habe sie abgebrochen."
"Bist du zu einem anderen Therapeuten gegangen? Einem Arzt?"
"Mir kann niemand helfen. Das weiß ich. Diese Bilder...
Niemand kann sich vorstellen, was es bedeutet, wenn man plötzlich erfährt, daß man ein Mörder ist..."
"Ich verstehe dich gut", sagte Lynne.
"Nein, das versteht niemand. Niemand wirklich. Und dann...
Da ist noch etwas..." Er stockte und machte eine kleine Pause. Einen Augenblick hatte Lynne schon den Verdacht, der Anrufer könnte raus aus der Leitung sein.
"Was ist da noch, Bill?" hakte sie nach.
"Ich weiß nicht, wie ich es sagen soll. Also, ich habe Angst, daß der Mörder, der ich war, wieder hervorbricht...
Verstehst du, was ich meine?"
Bill hatte jetzt mit zitternder Stimme gesprochen.
"Erkläre es mir", erwiderte Lynne so sanft und ruhig sie konnte.
"Ich habe Angst, daß ich wieder der werde, der ich in einem früheren Leben schon einmal war! William Delaney, ein Serienmörder! Wenn ich diese High-Society-Frauen mit ihren Klunkern und Ketten um den Hals sehe... Ich beginne zu verstehen, weshalb ich - also ich meine Delaney - sie umbringen mußte..."
Er atmete schwer. Die Zeit, die für einen einzelnen Anruf zur Verfügung stand, war längst verbraucht.
Aber Lynne konnte Bill jetzt nicht sich selbst überlassen.
Wenn sie Glück hatte, konnte sie ihn dazu überreden, sich noch mit dem Psychologen, den sie im Sendeteam hatten, zu unterhalten - natürlich ohne, daß davon etwas über den Sender ging. Denn Hilfe brauchte dieser Mann ohne Zweifel.
"Bill, hier warten bereits einige andere Anrufer in der Warteschleife", sagte Lynne. "Vielleicht unterhältst du dich noch ein bißchen mit unserem Psychologen... Hallo?"
Es hatte klick gemacht.
"Bill? Bist du noch dran?"
Die Leitung war tot.
*
"Mein Gott, du bist ja kreideweiß", meinte Clark Grady, der Aufnahmeleiter, als die Sendung zu Ende war.
Lynne schluckte.
"Ich bin froh, daß die Sendung zu Ende ist", gestand sie und fuhr sich mit der Hand über die Augen.
Clark hatte ihr einen schwarzen Kaffee hingestellt. Lynne lächelte matt.
"Danke."
"Keine Ursache. Ich glaube, den brauchst du jetzt."
"Das kann man wohl sagen."
Grady setzte sich zu der jungen Frau. Lynne war Mitte zwanzig und sportlich gekleidet. Sie trug Jeans und Pullover. Aber das lange Haar, das sie hochgesteckt trug, gab ihr einen Hauch von Eleganz.
"Das mit diesem Irren hat dich ziemlih mitgenommen, nicht wahr Lynne?" hörte sie Gradys Stimme.
Grady war doppelt so alt wie sie und sie wußte genau, daß sie es nur zur einen Hälfte ihrem Talent zu verdanken hatte, daß sie diese Sendung seit drei Monaten moderierte.
Talent war die Voraussetzung. Die andere Seite der Medaille waren Menschen, die dieses Talent erkannten und förderten.
Und das war Grady gewesen.
"Da mußt du durch, Lynne."
"Dieser Mann ist krank, er braucht Hilfe."
"Ich weiß."
Eine attraktive Blondine tauchte auf und reichte Grady ein paar Unterlagen.
Lynne kannte sie. Es war Colleen McGray, eine aus dem Team, das die Anrufe entgegennahm.
"Wie konntet ihr diesen Verrückten auf den Äther lassen?"
knurrte Grady sie an.
Er konnte sehr jähzornig werden, das wußte Lynn aus eigener Erfahrung. Aber meistens meinte er es gar nicht so hart, wie er es sagte. Und irgend einer mußte den Laden schließlich zusammenhalten. Deshalb konnte Lynne ihm das nachsehen.
"Ich..." stotterte Colleen.
"Wozu werdet ihr eigentlich bezahlt?"
"Die Story dieses Mannes klang interessant und überzeugend.
Er wirkte sehr viel ruhiger, als er mit mir sprach..."
"Ja, ja..." Grady winkte ab und Colleen ging mit einem Schmollmund wieder davon. Sie schien wirklich beleidigt zu sein.
"Colleen kann doch nichts dafür!" versuchte Lynne sie zu verteidigen.
"Natürlich kann sie das! Sie soll besser aufpassen!"
Colleen ließ die Tür zuknallen.
Grady blickte Lynne gerade an. "Vergiß es so schnell du kannst, Lynne."
Sie lächelte matt.
"Spätestens zur nächsten Sendung!" versprach sie und warf einen kurzen Blick zur Uhr. Halb zwei in der Nacht. Zeit, daß ich nach Hause komme, dachte sie.
Wenig später, als sie das Gebäude des Senders verließ und die frische, kühle Nachtluft in sich aufsog, kam ihr eine Gestalt entgegen. Es war ein Mann mit wehendem Mantel, der ziemlich abgehetzt
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