Die Angstmacher
unterschätzten den Mann gewaltig, der einst als »Hase« sein Geld verdiente. »Hasen« laufen in der Leichtathletik vor Leistungssportlern, um Tempo zu machen. Die Dünkelhaften verkannten die Strategie, die Maschmeyer mit seinem demonstrativen Aufsteigerhabitus verfolgte. Mit Goldkettchen und teuren Anzügen bot er die perfekte Projektionsfläche für seine Verkaufsmannschaften. Die verehrten und verehren ihn wie einen Guru. Wer bei AWD als Verkäufer anheuert, der will so werden wie Maschmeyer.
Zu spaßen ist mit dem Multimillionär nicht. Er arbeitet nicht nur mit dem Versprechen von Wohlstand. Drohungen und Einschüchterungen gehören genauso zu seinem Repertoire. Das mussten nicht nur abtrünnige Verkäufer feststellen. Als Verbraucherschützer den AWD vor vielen Jahren als »Drückerkolonne« bezeichneten, ließ Maschmeyer das gerichtlich untersagen. Selbst mehr als zehn Jahre danach will die betroffene Organisation nicht öffentlich in diesem Zusammenhang genannt werden. Im Frühjahr 2011 lieferte sich Maschmeyer eine bizarreSchlacht mit dem NDR um die Ausstrahlung eines kritischen Fernsehbeitrags über den »Drückerkönig und die Politik«. Die NDR-Reportage berichtete über Kunden, die auf den Rat von AWD-Vertretern unwissentlich in riskante Anlagen investiert und viel Geld verloren hatten. Maschmeyer wollte die Ausstrahlung verhindern und schreckte nicht davor zurück, die Autoren persönlich juristisch zu verfolgen. »Ein Großangriff auf die Pressefreiheit«, schrieb die Frankfurter Allgemeine Zeitung . 19 Wenige Monate später gab Maschmeyer nach und einigte sich mit dem NDR.
Der Drückerkönig hatte für Gerhard Schröder im niedersächsischen Landtagswahlkampf 1998 anonym Anzeigen geschaltet. »Der nächste Kanzler muss ein Niedersachse sein«, stand darauf. Die Landtagswahl in Niedersachsen war damals eine wichtige Richtungsentscheidung in der SPD. Hätte Schröder die Wahl nicht deutlich gewonnen, wäre möglicherweise sein Rivale Oskar Lafontaine 1998 Kanzlerkandidat und Bundeskanzler geworden. Der damalige SPD-Vorsitzende Lafontaine, der heute Mitglied der Partei Die Linke ist, galt als Gegner der Privatisierung von Teilen des Sozialsystems. Schröder, der »Genosse der Bosse«, stand für den Abbau von Sozialleistungen. Durch Kürzungen oder Streichungen entstehen Lücken, die die Finanzindustrie gerne füllt. Als Bundeskanzler hatte Schröder auf einer Veranstaltung vor AWD-Vertretern gesprochen. »Sie als AWD-Mitarbeiter erfüllen eine staatsersetzende Funktion. Sichern Sie die Rente Ihrer Mandanten, denn der Staat kann es nicht«, hatte Schröder die Drücker geadelt. Der Leistungsabbau der Sozialsysteme macht aus den Verkäufern Botschafter des Guten und Richtigen. Sie sind keine schnöden Drücker mehr, sondern haben eine ehrenwerte Aufgabe. Einen besseren Motivator für Vertreter als einen amtierenden Bundeskanzler kann man sich kaum vorstellen.
Nachdem Maschmeyer die Verkaufsorganisation AWD an den Versicherer Swiss Life 2008 verkauft hat, will er mit Bert Rürup Regierungen auf der ganzen Welt beraten. Der deutschen Regierung stehen die beiden Herren auch zur Verfügung. Familienministerin Kristina Schröder (CDU) beauftragte das Beratungshaus mit einer Ausarbeitung zur privaten Absicherung der von ihr angedachten Auszeit für Menschen, die Angehörige pflegen. Für die Branche ist die Pflegeversicherung in allen denkbaren Varianten ein vielversprechendes Geschäftsfeld. Schön für sie, wenn sie an den gesetzlichen Rahmenbedingungen mitwirken darf. An der Ausarbeitung des Konzepts für das Schröder-Ministerium beteiligt war ebenso die Nürnberger Versicherung. Auch die hat gute Verbindungen zur Politik. Im Februar 2008 ist der ehemalige bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber in den Aufsichtsrat der Nürnberger Versicherungsgruppe eingezogen.
Genosse Generaldirektor
Traditionell haben Versicherer einen guten Draht ins Machtzentrum des Staats. Der Branche nahe stehen keineswegs nur die als wirtschaftsfreundlich geltenden Unionsparteien und die FDP, das zeigt nicht nur das Beispiel Gerhard Schröder. Alex Möller, der erste sozialdemokratische Finanzminister der Bundesrepublik, war ein Mann der Versicherungen. Lange vor dem »Genosse der Bosse«-Schröder war er der »Genosse Generaldirektor« 20 . Der Journalist, Gewerkschafter und sozialdemokratische Landtagsabgeordnete musste sich in den Dreißigerjahren als Gegner der Nazis eine neue Existenzgrundlage suchen – und kam
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