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Die Ankunft

Die Ankunft

Titel: Die Ankunft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katja Piel
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dünnen Schreie bohrten sich in Marcus' Ohren wie glühender Draht. Dieser elende, weichliche Wurm sollte still sein!
    Marcus stürzte sich auf ihn und biss ihm das Gesicht ab. Dann warf er sich über die röchelnde Gestalt, schlug seine Zähne in das weiche Fleisch und riss daran, bis Blut ihm über die Lefzen sprudelte. Ein machtvolles Gefühl rauschte durch seinen Körper. Er fühlte sich stark und unbesiegbar. Keine schlechten Gefühle mehr, keine Trauer. Endlich bekam er, was ihm zustand.
    Als der Mann aufgehört hatte zu zucken, sah Marcus sich nach einem weiteren Opfer um. Raffaelus hatte seine Tiergestalt verlassen und gebot ihm Einhalt.
    "Es reicht. Du hast deine Wolfstaufe erfahren. Ich nehme dich mit zum Rudel. Dort kannst du dich ausruhen."
    Marcus gab seine Wolfsgestalt auf. Seine Sinne schienen immer noch seltsam geschärft. Eine unbändige Kraft pulsierte durch seinen Körper. Er hätte durch den ganzen Wald rennen oder ganz allein ein Rudel Hirsche zur Strecke bringen können.
    Oder ein Dorf.
    "Du lernst schnell", lächelte Raffaelus. "Und du wirst ein prächtiger Werwolf werden. Einer der besten."

20. Kapitel
    Herbst 2012, Frankfurt Sachsenhausen
    « Wie ist das eigentlich so? Eine Wandlerin zu sein? »

    Ein paar Tage später stand Sam vor meiner Tür. Ich fiel fast in Ohnmacht. Katja war schon morgens bei mir gewesen, und ich hatte nicht mit weiterem Besuch gerechnet. Draußen wurde es schon dunkel. Ein Herbststurm riss die Blätter von den Bäumen, und Sam brachte einen Schwall kalter Luft mit, als er mein kleines Gefängnis betrat.
    „Sam!“ Ich fiel ihm um den Hals und presste mein Gesicht an seine Schulter. Er schloss die Arme um mich und drückte mich an sich.
    „Anna, Liebste, ich habe dich so vermisst.“
    Er ließ seine Schuhe an der Tür und ging die Stufen zu meinem Wohnraum hinunter. Seine Haare waren feucht, und er roch nach Regen. Ich folgte ihm, ganz benommen von seiner plötzlichen Anwesenheit.
    „Wie komme ich zu der hohen Ehre deines Besuches?“
    „Ich habe meinen Vater so lange bearbeitet, bis er mir deine Adresse gegeben hat. Er konnte verstehen, dass diese Isolation schrecklich für dich sein muss. Außerdem... nun ja, ich denke, er hat gemerkt, dass du nicht nur eine Bekannte und Nachbarin meiner Freundin bist.“
    „Oh. Er wird doch nicht...“
    „Nein, nicht mein alter Herr. Er hat sich noch nie in meine Privatangelegenheiten gemischt.“ Er sah sich um, musterte das Doppelbett in der Schlafnische, den großen Fernseher und den Blick hinaus in den verwilderten Garten.
    „Nett hast du's hier.“
    „Ja, wenn ich mal vor die Tür könnte, dann wäre es noch viel netter. Kaffee?“
    „Lieber ein Glas Rotwein, wenn du hast.“
    Ich hatte tatsächlich. Es gab eine kleine Vorratskammer, in der neben Konservendosen und H-Milch auch zwei Flaschen Wein standen. Als ich etwas davon eingoss, war es ein lieblicher Rosé, aber das störte uns nicht.
    „Wir werden heute nicht übereinander herfallen“, schwor ich ihm, als wir anstießen. „Prost.“
    Mit den Gläsern verzogen wir uns aufs Sofa. Kuscheln war erlaubt, und ich wäre am liebsten in ihn hinein gekrochen. Ich schmiegte mich an ihn, und er legte seinen Arm um mich.
    „Was gibt es Neues?“, fragte ich. „Du musst mir alles erzählen.“
    Er rutschte unbehaglich herum.
    „Leider nicht so viel. Ein paar Wächter sind angereist, das sind aber eher so rüstige Rentner. Den Venatio fehlt der Nachwuchs. Das Rudel haben wir nicht mehr gesichtet, allerdings stand in der Zeitung ein Artikel über Wölfe im Taunus. Ein Jäger hat entsprechende Spuren gefunden und ein totes Reh, das von Raubtieren gerissen und angefressen wurde. Jetzt wird diskutiert, ob es sich auch um große, verwilderte Hunde handeln könnte.“
    Ich biss mir auf die Lippe.
    „Das Rudel ist also jedenfalls noch in der Gegend?“
    „Davon ist auszugehen. Und damit bist auch du nach wie vor in Gefahr, wenn du einen Fuß auf die Straße setzt. Mein Vater will eine Detektei beauftragen, die dein Haus beschattet, um zu sehen, ob andere es ebenfalls beschatten.“
    „Du hättest nicht herkommen sollen. Das ist gefährlich!“
    Er lachte und küsste mich zart auf die Stirn.
    „Du weißt nicht, was du willst. Erst heulst du mir die Ohren voll, dass ich zu dir kommen soll, und wenn ich dann da bin, ist es auch wieder nicht recht.“
    „Es ist sowas von recht.“
    Meine Stirn prickelte, dort wo er mich geküsst hatte. Ich musste nur den Kopf heben, um seine

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