Die Arche
»Aber das Schiff ist noch da. Was ist
geschehen, Ilia?«
Wieder dieses müde Halblächeln. »Ich lenkte mein
Shuttle in den Strahl hinein. Ich dachte, dann würde er
aufhören.«
»Das hast du offenbar erreicht.«
»Ich hatte nicht erwartet zu überleben. Aber ich hatte
nicht genau genug gezielt.«
Der Servomat schritt zum Bett. Seit Clavains Bild verschwunden
war, wirkten seine Bewegungen mechanischer und bedrohlicher.
»Die beiden wissen, dass ich Ihnen die Nanomaschinen
injiziert habe«, sagte er mit einer Stimme, die nichts
Menschenähnliches mehr hatte. »Und sie wissen jetzt auch,
dass Sie es wissen.«
»Clavain… die Beta-Kopie… hatte keine andere
Wahl«, sagte Volyova, bevor einer ihrer menschlichen Besucher
sich dazu äußern konnte. »Ohne die Nanomaschinen
wäre ich jetzt tot. Ob sie mich mit Abscheu erfüllen? O ja.
Bis ins Innerste meines Wesens. Ich brauche mir nur vorzustellen,
dass sie in meinem Schädel herumkriechen wie eine Horde Spinnen
oder Wanzen, und schon schüttelt mich der Ekel. Zugleich sehe
ich ein, dass sie notwendig sind. Immerhin habe ich mein Leben lang
selbst mit ihnen gearbeitet. Und mir ist auch klar, dass sie keine
Wunder wirken können. Die Schäden sind zu groß. Ich
bin nicht mehr zu reparieren.«
»Wir werden einen Weg finden, Ilia«, sagte Khouri.
»Deine Verletzungen können nicht…«
Volyovas Flüsterstimme unterbrach sie. »Vergiss mich.
Auf mich kommt es nicht an. Jetzt zählen nur noch die
Geschütze. Sie mögen böse und verderblich sein, aber
sie sind meine Kinder, und ich will nicht, dass sie in die falschen
Hände fallen.«
»Jetzt kommen wir allmählich zum Kern der Sache«,
sagte Thorn.
»Clavain – der echte Clavain – will die
Geschütze«, sagte Volyova. »Er hält sich für
stark genug, sie uns abzunehmen.« Ihre Stimme wurde lauter.
»Ist es nicht so, Clavain?«
Der Servomat verneigte sich. »Wie gesagt, Ilia, ich
würde viel lieber über eine Übergabe verhandeln,
besonders, nachdem ich jetzt einige Zeit und Mühe auf Ihre
Rettung verwandt habe. Aber täuschen Sie sich nicht. Mein
Original kann sehr skrupellos sein, wenn er eine gerechte Sache
verfolgt. Er fühlt sich im Recht. Und Menschen, die sich im
Recht fühlen, sind immer die gefährlichsten.«
»Warum erzählen Sie uns das?«, fragte Khouri.
»Weil es in seinem – unserem – Interesse
liegt«, erklärte der Servomat liebenswürdig. »Ich
möchte Sie nach Möglichkeit dazu bringen, mir die
Geschütze kampflos zu überlassen. Schon weil damit die
Gefahr vermieden würde, die verdammten Dinger zu
beschädigen.«
»Sie kommen mir nicht vor wie ein Monster«, gestand
Khouri.
»Das bin ich auch nicht«, antwortete der Servomat.
»Ebenso wenig mein Original. Auch er wird immer die unblutigste
Alternative wählen. Aber wenn es ohne Blutvergießen nicht
geht… nun, dann wird mein Original vor einer kleinen,
chirurgisch sauberen Schlächterei nicht zurückscheuen.
Schon gar nicht jetzt.«
Die letzten Worte wurden mit solchem Nachdruck gesprochen, dass
Thorn fragte: »Warum gerade jetzt nicht?«
»Weil er große Opfer bringen musste, um so weit zu
kommen.« Der Servomat hielt inne, sein Gitterkopf drehte sich
von einem zum anderen. »Er hat alles verraten, woran er
vierhundert Jahre lang glaubte. Das ist ihm nicht leicht gefallen,
das kann ich Ihnen versichern. Er hat seine Freunde belogen und
Menschen zurückgelassen, die ihm viel bedeuteten, denn nur so
konnte er seine Aufgabe erfüllen. Und erst vor kurzem hat er
eine grausame Entscheidung getroffen und sein Liebstes zerstört.
Darunter leidet er sehr. In dieser Hinsicht weiche ich von dem echten
Clavain ab. Meine Persönlichkeit wurde vor dieser schrecklichen
Tat geprägt.«
Wieder ließ sich Volyovas heisere Stimme vernehmen. Alle
horchten auf. »Der echte Clavain ist nicht wie Sie?«
»Ich bin eine Kopie, die angefertigt wurde, bevor der
furchtbare Schatten auf sein Leben fiel, Ilia. Wie weit wir uns
deshalb unterscheiden, kann ich nur vermuten. Aber ich nehme an, dass
mit meinem Original in seiner derzeitigen Gemütsverfassung nicht
zu spaßen ist.«
»Psychologische Kriegführung«, zischte sie.
»Wie bitte?«
»Nur dazu sind Sie hier, nicht wahr? Nicht, um über eine
vernünftige Regelung zu verhandeln, sondern nur, um uns das
Fürchten zu lehren.«
Wieder verneigte sich der Servomat mit mechanischer
Bescheidenheit. »Wenn mir das gelänge«, sagte Clavain,
»wäre ich mit meiner Arbeit zufrieden. Die
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