Die Arche
»Seine Identität steht
noch nicht fest, aber es handelt sich wohl um ein kriminelles
Schwein. Der Trawl lieferte klare und noch ganz frische Erinnerungen,
die ihn zeigen, wie er Menschen ermordet. Ich will dir die
Einzelheiten ersparen, aber eine gewisse Kreativität kann man
ihm nicht absprechen. Es stimmt nicht, wenn immer behauptet wird,
Schweine hätten keine Phantasie.«
»Das habe ich auch nie geglaubt, Clavain. Was ist mit der
anderen Geschichte, dieser Frau, die du angeblich gerettet
hast?«
»Ach ja. Unglaublich, wie sich so etwas herumspricht.«
Dann fiel ihm ein, dass er ja selbst den Kindern von Antoinette Bax
erzählt hatte.
»War sie überrascht?«
»Ich weiß nicht? Hätte sie denn Grund dazu
gehabt?«
Felka schnaubte nur. Sie schwebte in ihrem ausgebeulten braunen
Arbeitsanzug in der Mitte des Raums wie ein aufgetriebener Planet,
der von vielen zierlichen Holzmonden begleitet wurde. Mindestens ein
Dutzend halbfertiger Objekte hingen an Nylonfäden von ihrem
Gürtel. Daneben baumelten Schnitzwerkzeuge aller Art, von Ahlen
und Feilen bis zu Lasern und winzigen Bohrrobotern.
»Ich denke, sie rechnete mit dem Tod«, sagte Clavain.
»Oder zumindest damit, assimiliert zu werden.«
»Du scheinst bestürzt darüber, dass man uns hasst
und fürchtet.«
»Es gibt einem jedenfalls zu denken.«
Felka seufzte, als hätten sie das Thema schon ein Dutzend Mal
erörtert. »Wie lange kennen wir uns nun schon,
Clavain?«
»Länger als die meisten Menschen, nehme ich
an.«
»Richtig. Und du warst die meiste Zeit Soldat. Zugegeben, du
hast nicht immer gekämpft. Aber im Herzen bist du immer Soldat
geblieben.« Ohne ihn ganz aus den Augen zu lassen, holte sie
eines ihrer Werke ein und spähte durch die ziselierte
Oberfläche. »Meinst du nicht, dass deine moralischen
Bedenken unter diesen Umständen etwas spät
kommen?«
»Wahrscheinlich hast du Recht.«
Felka biss sich auf die Unterlippe und zog sich an einer dickeren
Leine auf eine Wand zu. Ihr Hofstaat aus Schnitzereien und Werkzeugen
begleitete jede Bewegung mit lautem Geklapper. Sie ging
geschäftig daran, für Clavain Tee zu bereiten.
»Du brauchtest mein Gesicht nicht zu berühren, als ich
hereinkam«, bemerkte Clavain. »Soll ich das als gutes
Zeichen werten?«
»In welcher Hinsicht?«
»Ich dachte nur, du könntest Gesichter allmählich
etwas besser unterscheiden.«
»O nein. Hast du auf dem Weg hierher die Gesichterwand nicht
bemerkt?«
»Die hast du wohl erst vor kurzem gemacht«, vermutete
Clavain.
»Wenn mich jemand besucht, den ich nicht genau kenne,
berühre ich sein Gesicht, taste es ab und präge es mir ein.
Dann vergleiche ich das Bild in meinem Geist mit den geschnitzten
Gesichtern, bis ich das passende gefunden habe, und lese den Namen
ab. Natürlich muss ich hin und wieder neue Gesichter
hinzufügen, und andere brauche ich nicht so genau
auszuführen…«
»Aber ich…?«
»Du trägst einen Bart, Clavain, und hast viele Falten
und dünnes weißes Haar. Wie sollte ich dich nicht
erkennen? Du bist ganz anders als alle anderen.«
Sie reichte ihm den Kolben. Er spritzte sich einen Strahl kochend
heißen Tees in den Mund. »Das lässt sich wohl nicht
leugnen.«
Er beobachtete sie mit aller Objektivität, zu der er
fähig war, und verglich diese Felka mit der, die er vor dem
Start mit der Nachtschatten gesehen hatte. Zwischen den beiden
Begegnungen lagen nur wenige Wochen, aber er glaubte zu erkennen,
dass sie sich mehr in sich zurückgezogen hatte, noch weniger in
der Welt lebte als irgendwann in der jüngeren Vergangenheit. Sie
hatte von Besuchern gesprochen, aber er vermutete stark, dass sie
nicht sehr zahlreich gewesen waren.
»Clavain?«
»Versprich mir eines, Felka.« Er wartete, bis sie sich
ihm zuwandte. Ihr schwarzes Haar – sie trug es so lang wie einst
Galiana – war verfilzt und strähnig. In den Augenwinkeln
saßen dicke Schlafkrusten. Die Augen waren hellgrün, fast
wie Jade, aber das Weiße war blutunterlaufen und bildete einen
unschönen Kontrast. Die Tränensäcke waren geschwollen
und bläulich, als hätte man ihr ins Gesicht geschlagen.
Felka brauchte, genau wie Clavain, für einen Synthetiker
außergewöhnlich viel Schlaf.
»Was soll ich dir versprechen, Clavain?«
»Falls… wenn… es zu schlimm wird, lässt du es
mich wissen, ja?«
»Wozu sollte das gut sein?«
»Du weißt doch, dass ich für dich immer mein
Bestes versuchen würde? Besonders jetzt, nachdem Galiana nicht
mehr bei uns ist.«
Sie sah
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