Die Arche
sein
soll.
[Warum hatte sie zwei Namen, Clavain?]
Weil… Allmählich kam er in Teufels Küche. Hört mal… hm… ich glaube, ich sollte wirklich nicht
länger stören. Er spürte deutlich, wie sich die
emotionale Aura der Betreuer entspannte. Und jetzt… hm…
wer von euch möchte mir zeigen, wie gut er schon fliegen
kann?
Das war Ansporn genug. Ein Schwall von Gedanken drängte in
seinen Kopf, alle wetteiferten um seine Aufmerksamkeit. [Ich,
Clavain, ich!]
Und dann stießen sie sich ab, schwebten ins Leere und
wussten sich vor Begeisterung kaum noch einzukriegen.
* * *
Eben hatte er noch in dichten grünen Dschungel geschaut, dann
brach der Wagen durch eine Blätterwand und blieb auf einer
Lichtung stehen. Nachdem Clavain die Kinder hinter sich gelassen
hatte, war er noch drei oder vier Minuten durch den Wald gekurvt. Wo
Felka zu finden war, wusste er genau.
Die Lichtung hatte die Form einer Kugel und war auf allen Seiten
von dichtem Grün umschlossen. Ein Spalierstamm mit vielen
Wohnhöhlen zog sich von einer Seite zur anderen. Der Wagen fuhr
darauf zu und hielt sich mit schwirrenden Schaufelrädern auf der
Stelle, bis sein Fahrgast ausgestiegen war. Clavain hangelte sich mit
Händen und Füßen über Leitern und Ranken den
Stamm entlang, bis er den Zugang zu den Innenräumen gefunden
hatte. Seine Höhenangst machte ihm ein wenig zu schaffen, aber
nicht allzu sehr. Ein Teil seines Bewusstseins würde sich
wahrscheinlich immer gegen die Vorstellung sträuben, so mir
nichts dir nichts durch scheinbar himmelhohe Baumkronen zu klettern,
doch im Lauf der Jahre hatten sich diese quälenden
Primatenängste so weit abgeschwächt, dass sie ihn kaum noch
beeinträchtigten.
»Felka…«, rief er. »Ich bin’s,
Clavain.«
Als er nicht gleich eine Antwort erhielt, schob er sich mit dem
Kopf voraus weiter den Stamm hinauf – oder hinunter?
»Felka…«
»Hallo, Clavain!«, dröhnte ihm ihre Stimme, durch
die besondere Akustik mehrfach gebrochen und verstärkt,
entgegen.
Er musste der Stimme folgen; ihre Gedanken konnte er nicht
spüren. Felka war nicht ständig ins Kollektivbewusstsein
der Synthese integriert, was freilich nicht immer so gewesen war.
Doch selbst dann hätte Clavain eine gewisse Distanz gewahrt. Sie
hatten sich schon vor langer Zeit in beiderseitigem Einvernehmen
dafür entschieden, den jeweils anderen außer bei ganz
banalen Dingen aus ihrem Bewusstsein auszuschließen. Allzu viel
Intimität war zwischen ihnen nicht erwünscht.
Der Korridor endete wie in einem Mutterschoß in Felkas Labor
und Atelier, wo sie inzwischen fast ausschließlich ihre Tage
verbrachte. Die Wände zeigten eine interessante Holzmaserung.
Clavain erinnerten die Ellipsen um die Astknoten an geodätische
Konturen einer stark gekrümmten Raumzeit. Im Schein der
Wandlaternen glitt sein Schatten wie eine bedrohliche Riesengestalt
über das Holz. Er tastete sich mit den Fingerspitzen
vorwärts und berührte dabei kunstvolle Schnitzereien, die
frei durch den Stamm schwebten. Die meisten erkannte er wieder, doch
die eine oder andere schien ihm neu zu sein.
Er schnappte sich eins der Kunstwerke und sah es sich näher
an. Es klapperte, als er es in die Hand nahm – ein menschlicher
Kopf, herausgearbeitet aus einem spiralig gedrehten Holzstück.
Im Innern der Spirale entdeckte er einen zweiten Kopf und in diesem
noch einen dritten. Wahrscheinlich war auch das nicht der letzte. Er
ließ das Objekt los und griff nach einem anderen.
Diesmal war es eine Kugel, aus deren Oberfläche viele
unterschiedlich lange Spieße ragten. Als Clavain einen davon
berührte, klickte es im Innern der Kugel, und etwas bewegte
sich, als schnappte ein Schloss ein.
»Du bist offenbar sehr fleißig gewesen, Felka«,
sagte er.
»Da war ich wohl nicht die Einzige«, gab sie
zurück. »Ich habe die Berichte gehört. Habt ihr nicht
einen Gefangenen mitgebracht?«
Clavain tastete sich durch eine weitere Wolke von Schnitzereien um
eine Biegung und zwängte sich durch eine enge Innentür in
einen kleinen, fensterlosen Raum, der nur von Laternen erhellt wurde.
Ihr Licht lag rosarot und grünlich auf den gelblichbraunen
Wänden. Eine Wand bestand ganz und gar aus geschnitzten
Köpfen mit karikaturistisch überzeichneten Zügen. Die
Gesichter an den Rändern wirkten unfertig, wie Wasserspeier,
über die man Säure geschüttet hatte. Ein würziger
Harzduft hing in der Luft.
»Ich glaube nicht, dass wir mit dem Gefangenen viel anfangen
können«, sagte Clavain.
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