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Die Arche

Die Arche

Titel: Die Arche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds
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ihn aus ihren entzündeten Augen nachdenklich an.
»Du hast immer dein Bestes versucht, Clavain. Aber ich bin, wie
ich bin, und du kannst mich nicht ändern. Du kannst keine Wunder
vollbringen.«
    Er nickte traurig. Sie hatte Recht, aber das half ihm nicht
viel.
    Felka war nicht wie die anderen Synthetiker. Er hatte sie kennen
gelernt, als er zum zweiten Mal Galianas Nest auf dem Mars besuchte.
Sie war aus einem fehlgeschlagenen Experiment hervorgegangen, bei dem
die Gehirne von Föten manipuliert werden sollten, ein winzig
kleines, behindertes Kind, nicht nur unfähig, Gesichter zu
erkennen, sondern unfähig, in irgendeiner Form mit anderen
Menschen in Beziehung zu treten. Für sie drehte sich die Welt um
ein einziges Spiel, das nie aufhörte, sie zu faszinieren.
Galianas Nest war von einem riesigen Bauwerk umgeben, das man die
Große Marsmauer nannte. Die Mauer, ein gescheitertes
Terraformungsprojekt, war in einem früheren Krieg
beschädigt worden. Aber sie war nie vollends zusammengebrochen,
denn Felkas Spiel bestand darin, ihre Selbstreparaturmechanismen
immer wieder zu aktivieren. Unablässig widmete sie sich der
komplizierten Aufgabe, Fehler zu finden und die kostbaren Ressourcen
an die richtigen Stellen zu leiten. Die zweihundert Kilometer hohe
Mauer war mindestens so komplex wie ein menschlicher Körper, und
es war, als könnte Felka ihre Selbstheilungskräfte von der
kleinsten Zelle aufwärts in jedem Stadium kontrollieren. Mit der
Zeit stellte sich heraus, dass Felka die Mauer viel besser
zusammenhielt, als jede Maschine das gekonnt hätte. Obwohl ihr
Geist so weit gestört war, dass sie nicht imstande war, eine
Verbindung zu anderen Menschen zu knüpfen, besaß sie eine
erstaunliche Begabung für komplexe Aufgaben.
    Als die Mauer beim letzten Ansturm von Clavains alten
Mitstreitern, der Koalition für Neurale Reinheit,
schließlich doch zerstört worden war, hatten Galiana,
Felka und er selbst als Letzte das Nest verlassen. Galiana hatte ihn
noch überreden wollen, Felka zurückzulassen. Ohne die
Mauer, so befürchtete sie, würde sie in einen Zustand der
Deprivation fallen, der grausamer wäre als der Tod. Aber Clavain
hatte darauf bestanden, sie mitzunehmen. Er war überzeugt, es
müsse irgendeine Hoffnung für das Mädchen geben, auch
nach dem Verlust der Mauer müsse sich etwas finden lassen, woran
ihr Geist sich festhalten konnte.
    Er hatte Recht behalten, aber es hatte viele Jahre gedauert, bis
sich das herausstellte.
    In den folgenden Jahren – vierhundert waren es, wobei keiner
von ihnen mehr als ein Jahrhundert subjektiver Zeit erlebt hatte
– war Felka mit Liebe und sanftem Druck in den derzeitigen
halbwegs stabilen Geisteszustand gebracht worden. Durch subtile und
sehr behutsame Eingriffe in ihr Neuralsystem erlangte sie einen Teil
der Hirnfunktionen zurück, die bei den Experimenten im
Fötalstadium zerstört worden waren: unter anderem die
Sprache und allmählich auch die Erkenntnis, dass andere Menschen
keine reinen Automaten waren. Es gab Rückschläge und
Fehlschläge – so lernte sie zum Beispiel nie, Gesichter zu
unterscheiden –, aber die Siege wogen alles auf. Felka fand
andere Dinge, die ihren Geist gefangen nahmen, und auf der langen
interstellaren Expedition war sie so glücklich gewesen wie nie
zuvor, denn jede neue Welt bot ihr die Aussicht auf ein
überwältigend schwieriges Puzzle.
    Dennoch hatte sie sich schließlich entschlossen, nach Hause
zurückzukehren, aber nicht etwa, weil es zu Misshelligkeiten mit
Galiana gekommen wäre. Felka hatte lediglich das Gefühl, es
sei an der Zeit, das Wissen auszuwerten, das mit ihrer Hilfe
zusammengetragen worden war, und dafür sei das Mutternest mit
seinen gigantischen Analyseinstrumenten der geeignete Ort.
    Doch als sie zurückkehrte, war das Mutternest in einen Krieg
verwickelt. Clavain beteiligte sich schon bald an den Kämpfen
gegen die Demarchisten, und Felka musste feststellen, dass die
Beschäftigung mit den Expeditionsdaten längst keine hohe
Priorität mehr genoss.
    Clavain hatte erleben müssen, wie sie sich langsam, so
langsam, dass es über die Jahre hinweg kaum zu spüren war,
in ihre eigene Welt zurückzog. Sie engagierte sich zunehmend
weniger für die Belange des Mutternests und schloss die anderen
Synthetiker bis auf wenige Ausnahmen aus ihrem Bewusstsein aus. Das
war noch schlimmer geworden, als Galiana zurückkehrte, weder
tot, noch lebendig, sondern irgendwo dazwischen in einem
schrecklichen Schwebezustand

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