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Die Asche der Erde

Titel: Die Asche der Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vonda N. McIntyre
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Fingernägel bohrten sich in Mischas Schulter; die Haushofmeisterin schob sie vor sich her aus dem Raum und am Schwimmbecken vorbei. Mischa blieb fügsam. Die Wächterin stand vor der Bibliothek und entlastete den verletzten Arm, indem sie die Hand zwischen die Knöpfe ihres Uniformrocks steckte. Sie ließ den Kopf hängen.
    »Jemand wird Sie ablösen«, sagte die Aufseherin.
    Die Wächterin schüttelte den Kopf. »Erst um vierundzwanzig Uhr, wenn Kaz kommt.«
    »Soll ich einen Arzt schicken?«
    »Danke, nicht nötig. Aber sagen Sie Kaz, er soll sich heute nicht verspäten.« Sie betrachtete Mischa mit verwundertem Stirnrunzeln. »Du mußt wirklich verrückt sein, um einfach hier einzudringen«, sagte sie. »Und der Herr war nahe daran, dich bleiben zu lassen; du hast dich sehr unklug verhalten.«
    »Wenn ich verrückt bin, ist er es noch mehr«, sagte Mischa.
    Die Wächterin blickte schnell über die Schulter und verbiß sich ein Lächeln. Dann zeigte sie zu einer Sprechanlage in der Wand. »Lassen Sie das Mädchen von den Gerichtsdienern abholen«, sagte sie zur Aufseherin. Sie rieb sich den angeschwollenen Unterarm und sagte versöhnlich: »Du hast wirklich einen harten Schlag. Tut mir leid, daß wir das machen müssen, aber du hättest es wissen sollen ....«
    »Ich wußte es«, sagte Mischa kurz. Die Wächterin blickte sie forschend an, zuckte die Achseln und wandte ihre Aufmerksamkeit der Haushofmeisterin zu, die mit dem Gesicht zur Wand stand und in die Sprechanlage sprach. Mischa riß aus.
    Die Wächterin stieß einen erschrockenen Ruf aus und rannte ihr nach, gefolgt von der Aufseherin. Mischa wähnte sich schneller als die beiden, aber ihre Verfolgerinnen wußten, daß sie harte Strafen zu gewärtigen hatten, wenn sie die Gefangene abermals entkommen ließen, und so setzten sie alles daran, sie wieder einzufangen. Mischa wurde von hinten hart über den Kopf geschlagen und fiel zu Boden, wo sie zappelte und um sich trat. Dann war die Wächterin über ihr und erstickte ihren Widerstand mit betäubenden Faustschlägen.
     
    Aus dem Tagebuch des Jan Hikaru:
     
    Es kam der Tag, da ich fühlte, daß meine Freundin abreisen würde; als ich sie traf bestätigte sie meine Befürchtungen. Das tags zuvor gelandete Schiff wurde von einem Mann befehligt, den sie vor zwanzig Jahren ausgebildet hatte. Seine weitere Reiseroute wird sie ihrem Ziel näherbringen. Wir
saßen fast bis Mitternacht beisammen, dann stand sie auf um zu gehen. Sie ist langsam und gebrechlich, aber sie kennt ihren Weg. Dann wandte sie sich um und schien mich gerade anzusehen, obwohl ich weiß, daß sie bestenfalls eine perlweiße Refraktion von Licht und Schatten sieht. Sie lächelte ein wenig und fragte: »Kommst du mit?«
    Ich folgte ihr, ohne daß ein weiteres Wort notwendig gewesen wäre. Seitdem haben wir dreimal das Schiff gewechselt und auf sieben Planeten Station gemacht. Ich bin ihr Auge. Die Reisen zwischen den einzelnen Etappen verliefen rasch und regellos, aber immer in einer allgemeinen Richtung, zu einem Teil dieser Galaxis, der von der Menschheit aufgebraucht und verlassen wurde, bevor sie bereit war, dazuzulernen: zum Kern und Ursprung- unserer Zivilisation, der nun fast völlig abgestorben war, ein Denkmal menschlicher Gier und Gedankenlosigkeit.
    Meine Freundin ist krank, mag sie es auch leugnen. Ich bin in Sorge um sie, aber sie lehnt jeden Aufenthalt und jede Ruhepause ab. Sie ist entschlossen, vor ihrem Tode die Erde wiederzusehen. Ich sehe dieser Wiederbegegnung mit Sorge und Befürchtungen entgegen; sie wird keine Tröstung darin finden, sondern Schmerz. Ich wäre beinahe imstande, sie zu betrügen und anderswohin zu bringen, zu einer Welt der Schönheit und des Friedens. Ich könnte sie zu Koen bringen, in die Wälder der singenden Insekten. Aber ihr wacher Geist würde den Betrug durchschauen. So vertrauen wir uns Schiffen an, die keine regelmäßigen Routen befahren und deren zusammengewürfelte Besatzungen anscheinend nicht selten außerhalb der Legalität operieren. Uns aber behandeln sie höflich und zuvorkommend, als reisten wir in der Luxusklasse des Linienverkehrs.
    Sie muß meine Hilfe mehr und mehr in Anspruch nehmen. In früherer Zeit pflegte ich ihr Alter, ihre Gebrechlichkeiten und sogar ihre Blindheit zu vergessen. Das ist jetzt nicht mehr möglich, und auch sie kann den Verfall ihrer Kräfte nicht länger verheimlichen. Oft höre ich sie nachts stöhnen und ächzen, ohne ihr helfen zu können, und anderntags

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