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Die Asche der Erde

Titel: Die Asche der Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vonda N. McIntyre
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Gestalten im Randbereich ihres Gesichtsfeldes zum Leben zu erwachen und ihr zu winken schienen. Sie ging rasch weiter.
    Der Korridor endete als Sackgasse. Sie blickte umher, aufwärts und sah in einen senkrechten Schacht. Im nächsten Augenblick fühlte sie sich emporgehoben. Sie verlor den Boden unter den Füßen und wurde von einer unsichtbaren Kraft aufwärts getragen. Sie warf sich herum, versuchte irgendwo einen festen Halt zu finden, verlor die Balance und fiel, schlug aber nicht am Boden auf. Sie wälzte und wand sich in der Luft und tastete verzweifelt umher, aber es gab keine Handgriffe und keine Stabilität. Ein gleichmäßiger Druck hob sie aufwärts, während sie zappelte und kämpfte. Dieser Zustand schien lange anzudauern. Das Licht wurde heller, der Schacht weitete sich. Der Druck ließ nach, und sie fürchtete abzustürzen, hing aber in der Luft. Der Schacht hatte sie durch eine Öffnung in einen kleinen, runden Raum gebracht. Golddurchwirkte, dicke Kordeln hingen horizontal neben und über ihr; obwohl weder ein Wind ging noch jemand in der Nähe war, befanden sich die Kordeln in ständiger schwankender Bewegung. Mischa ergriff eine von ihnen und zog sich zum Rand des Fußbodens.
    Zitternd und mit einem schmerzhaften Druck im Magen kauerte sie am Rand und kam sich töricht vor: Sie konnte von Glück sagen, daß es keine Falle gewesen war, in der sie sich gefangen hatte. Wenige Augenblicke später hatte sie ihr Gleichgewicht wiedergefunden, faßte neuen Mut und ging weiter.
    Sie gelangte in einen größeren Raum mit einem Springbrunnen in der Mitte und mehreren Korridoren, die in verschiedene Richtungen führten. Hinter dem spröden Plätschern des Wassers brütete Stille. Der prunkvollste Durchgang war mit dicken Teppichen ausgelegt und hatte geraffte Vorhänge aus besticktem purpurnen Samt. Mischa entschied sich für diesen Weg und sah sich bald wieder zwischen wandhohen Gobelins und aus dem anstehenden Fels gehauenen, sorgsam geglätteten und polierten Halbsäulen.
    Armdicke Goldkordeln hielten Drapierungen von den Eingängen großer und hoher Räume zurück. Kunstvoll gearbeitetes Mobiliar, wie Mischa es noch nie gesehen hatte, füllte diese Räume mit verschwenderischer Pracht. In einem runden, über-kuppelten Raum, an dessen Wänden eine Fülle von Zierpflanzen In Kübeln üppig gediehen, rauschte das Wasser einer Fontäne über sieben treppenförmig angeordnete Becken herab, wobei es von Becken zu Becken die Farbe wechselte und so das ganze Spektrum von Rot bis Violett umfaßte. Gemessen am Resultat, fand Mischa die mit der Errichtung einer solchen Konstruktion verbundene Mühe unangemessen groß.
    Stimmen aus einem Raum weiter vorn ließen sie innehalten. Als sie sich vergewissert hatte, daß niemand kam, schlich sie vorsichtig näher, die Hand am Messer. Hinter einem Vorhang wogten die Decken und Kissen eines hohen hölzernen Bettes. Eine Pelzdecke glitt unbemerkt auf den Boden und zeigte die von Laken verhüllten Umrisse eines kopulierenden Paares. Die Frau stieß bei jeder Bewegung des Mannes einen unterdrückten Schrei aus, der wie ein schweres Seufzen klang und der von dem Mann mit einem wollüstigen Grunzen und vermehrter Anstrengung quittiert wurde. Er arbeitete wie eine Maschine, sein Gesäß fuhr ruckartig hin und her. Mischa schaute eine Weile zu; sie war nie auf den Gedanken gekommen, daß die höheren Wesen, die den Steinpalast bewohnten, sich solch gewöhnlichen menschlichen Beschäftigungen hingeben könnten. Sie fragte sich, ob der Mann Blaisse sein mochte, aber die am Boden verstreuten Kleidungsstücke gehörten offenbar zur Uniform eines Palastwächters und der spärlichen, juwelenbesetzten Tracht einer Haussklavin, und so ging sie weiter. Sie sah niemand sonst, und fühlte niemandes Nähe; der ganze riesenhafte Komplex schien ausgestorben.
    »Du!«
    Mischa flog herum, entsetzt, daß man sie trotz ihrer Wachsamkeit überrascht hatte. Blaisses Haushofmeisterin war hinter ihr erschienen. Weder Zorn noch Erregung gingen von ihr aus; Mischa konnte überhaupt keine Gemütsbewegung ausmachen. Sobald sie die Schrecksekunde überwunden hatte, machte sie kehrt und floh tiefer in den Palast, womit sie sich möglicherweise ihrem Ziel näherte, sicherlich aber die Flucht erschwerte.
    Sie rannte um eine Biegung und sah vor sich eine Sackgasse.
    In ihrer Not schlüpfte sie durch einen geschlossenen Vorhang und blieb stehen.
    »He, was soll das ...?«
    Eine Wächterin legte ihr Buch zur Seite

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