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Die Asche der Erde

Titel: Die Asche der Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vonda N. McIntyre
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Jan stieß sie ihm mit einem Fußtritt aus der Hand, hob sie auf, riß den Energiespeicher heraus und zerstampfte ihn mit dem Stiefelabsatz.
    »Elender Dummkopf!« murmelte Subeins.
    »Und Sie?« Jan unterdrückte eine zornige Aufwallung. »Sie gefährden Ihre Position.«
    Jan sagte nichts.
    »Er lebt, Jan«, flüsterte Mischa. »Mein Gott, er lebt.«
    Jan ließ sich auf ein Knie nieder, nahm das Handgelenk des jungen Mannes und fühlte zwischen schmalen, zerbrechlich scheinenden Knochen nach dem Puls. Er war leicht, schnell, unregelmäßig. Ein dolchartiges Federmesser von der Art dessen, das Mischa bei sich zu tragen pflegte, glitt aus den schlaffen Fingern. Der Streit war nicht zwischen Mischa und Subeins gewesen, sondern zwischen dem letzteren und diesem Jungen. Der Gestank von verbranntem Fleisch und angesengtem Stoff hing wie eine Wolke über dem Unglücklichen. Jan sah, daß er nichts für den Verletzten tun konnte. Mischa streckte die Hand aus und nahm das Messer an sich.
    »Ich werde Hilfe holen«, sagte Jan.
    Mischa stieß ein hartes Lachen aus. »Subzwei wird Sie nicht lassen.«
    »Darüber werde ich mir Sorgen machen, wenn es soweit ist.« Er fragte sich, ob die Bluttat die Entfremdung zwischen den beiden Pseudozygoten vollkommen machen würde.
    Mischa stand auf. »Subzwei weiß es schon.« Sie blickte durch die farbigen Dunstschleier zum Eingang, und die Haltung ihrer Schultern und der Ausdruck ihrer Augen zeigten weder Kampfgeist noch Hoffnung, nur Niederlage.
    Die Lichtvorhänge gerieten in wirbelnde Bewegung, und Subzwei zerriß hereinstürmend das Wallen der Farben. Er ignorierte alle, bis auf seinen Partner. »Was haben sie getan?« Er fiel auf die Knie, stieß Draco zur Seite und umfing Subeins mit den Armen. In seinen Augen glitzerten unvergossene Tränen des Mitgefühls oder echten Schmerzes. Subeins überließ sich mit leidender Miene der Fürsorge seines Partners, schlaff und geschwächt vom Blutverlust oder, wie Hikaru argwöhnte, in einer bewußten Schaustellung des Leidens.
    »Ich sagte dir gleich, daß sie dir nichts als Scherereien eintragen würde«, sagte er zu seinem Partner.
    Subzwei blickte wild zu Mischa auf. »Wir werden das alles in Ordnung bringen«, sagte er zu Subeins. Sobald er sich über seinen Partner beugte, wurde sein Gesicht eine Maske zartfühlender Sorge, der ungefühlten Reaktion eines Mannes mit unzureichender Erfahrung in den Tragödien menschlichen Lebens und Sterbens.
    »Ich hatte Hoffnungen für dich«, sagte er nach einer Weile, wieder zu Mischa gewandt. »Du hättest alles erreichen können.«
    »Dann ist es also aus«, sagte Mischa. »Weil er einen Mord beging und uns Unrecht tat – aber Sie können sich nicht von ihm abspalten.«
    »Nein.«
    Mischa blickte auf den Körper zu ihren Füßen. »Auch ich kann mich nicht von Chris abspalten. Lassen Sie mich ihn hinaustragen.«
    Subeins wurde lebendig und tastete nach dem Arm seines Partners. »Laß sie nicht gehen.«
    »Wieviel mehr wollen Sie ihn verletzen?« rief Mischa. »Er ist tot«, grollte Subeins. »Ich will dich.«
    Die. Szene gefror wie ein Tagtraum, der unversehens zum Alptraum wird. Aber Träume konnten verändert werden; Jan war von den Rändern seiner Träume zu ihren Mittelpunkten vorgedrungen, aus der Rolle des Zuschauers in die des Regisseurs übergewechselt, der die Darsteller hierhin und dorthin befiehlt, selbst Darsteller wie Subeins, die nichts als reine Destillationen des egozentrischen Unbewußten waren. Doch in der Realität konnte er es nicht tun; und er begriff, daß es mit Träumen nicht getan war und daß die Realität sein Abenteuer werden mußte. Er konnte nur sich selbst befehlen, und das mußte er: Er mußte handeln, statt beobachten, die Entscheidungen seines Lebens treffen, statt sich vom Leben umspülen zu lassen.
    Er faßte sich ein Herz und sagte zu Subzwei: »Er ist nicht mehr wie Sie. Sie brauchen es ihm nicht gleichzutun, und er verdient Ihre Loyalität nicht.«
    Subzwei sagte nichts, doch die kleinen senkrechten Furchen zwischen seinen Brauen vertieften sich. Subeins wandte sich in gelangweilt klingendem Ton zu Draco und sagte: »Schaff ihn hinaus!«
    Draco kam auf Jan zu und wollte ihn vor sich her zum Ausgang stoßen. Jan ließ sich einmal anrempeln, doch als Draco ermutigt zum nächsten Anlauf ansetzte, packte Jan ihn beim Arm, bückte sich mit einer Körperdrehung gegen ihn und warf ihn über die Schulter auf den Boden. Draco schlug hart auf den Rücken und lag betäubt.

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