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Die Asche der Erde

Titel: Die Asche der Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vonda N. McIntyre
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zog die verkohlten und geschmolzenen Ränder seines roten Hemdes von der Verbrennung zurück. Hautfetzen und Fleisch lösten sich mit, und die Wunde begann stark zu bluten. Sie würgte. Jan schob ihre Hände zur Seite und bedeckte den Bereich der Verbrennung mit einem Polster aus zusammengelegtem Stoff, das er dick mit Wundsalbe bestrichen hatte. Die Muskeln seiner Kinnbacken traten knotig hervor; Mischa vermutete, daß er in seinem bisherigen Leben nicht viel Tod und Gewalttat gesehen hatte. Sie verspürte ein Bedürfnis, seinen Arm zu berühren, ihm irgendwie zu danken. Er bandagierte Chris, deckte ihn zu, ließ sich auf die Fersen zurücksinken und kauerte bewegungslos mit gesenktem Kopf. Nach einer Weile räusperte er sich und sagte: »Manchmal werden die Nerven mit ausgebrannt, und es gibt keinen Schmerz.« Er blickte zu ihr auf, und Mischa sah in seinen Augen, daß auch er wußte, daß Chris im Sterben lag, und daß er keine Worte für sie fand.
    »Es tut mir leid«, sagte sie. »Ich habe Sie in diese Sache hineingezogen.«
    Er nahm ihre Hand. »Das stimmt nicht. Was immer geschieht, eins darfst du mir glauben: wir sind verantwortlich für unsere eigenen Entscheidungen, aber nicht für die Entscheidungen anderer.«
    »Ich wünschte, ich könnte das glauben.«
    »Es ist wahr.«
    Vielleicht war es so, in der Utopie, als die sie sich die Sphäre dachte, aber nicht im Zentrum. »Es ist meine Schuld, daß er so hier liegt«, sagte sie. »Und es ist meine Schuld, daß Sie hier gestrandet sind.«
    »Wer ist er?«
    »Mein Bruder.«
    Jan nickte langsam. »Aber du sagtest mir einmal, daß du niemanden zurücklassen würdest.«
    »Darum brachte ich ihn zum Palast ... Ich wollte ihn mitnehmen, denn ich dachte, in der Sphäre könnte man ihm helfen.«
    Er schwieg, aber in seinem Gesichtsausdruck blieb eine Frage. Sie langte in die Jackentasche, schloß die Finger um die Kapsel, zog sie heraus und zeigte sie ihm. Seine blassen Brauen hoben sich; er erkannte die sich windenden Fäden der Droge.
    »Ich mußte ihn allein lassen, um es zu beschaffen. Und ...« Wahrscheinlich würde sie nie erfahren, ob Chris den Palast in einer letzten Schaustellung von Trotz verlassen hatte, oder ob ihm einfach nicht klar gewesen war, was er tat.
    Jan fuhr sich über das wirre Haar, eine nervöse Geste. »Es gibt keine Möglichkeit ...« Er brach ab und schüttelte den Kopf. »Dann ... was nun?«
    Ihre Hände öffneten und schlossen sich wie Krabbenscheren. »Ich will nicht, daß er stirbt«, sagte sie. Die Worte schmerzten wie Glassplitter, aber sie waren gesagt. »Wenn er stirbt ...«
    »Was ist mit dir?«
    Mischa zuckte die Achseln. Die Frage mußte gestellt und beantwortet werden, aber sie konnte jetzt nicht darüber nachdenken. »Ich weiß nicht.«
    »Gibt es kein Krankenhaus, keinen Chirurgen, der ihm vielleicht helfen könnte?«
    Sie schüttelte den Kopf.
    »Dann können wir nichts weiter tun?«
    »Nur warten.«
    Kirillin humpelte durch den Sand, und sie kam sich unbeholfen und auffällig vor, so sehr, daß sie die Dunkelheit wohltätig empfand. Für einen Krüppel, dachte sie, gibt es keine Anmut. Der Weg wurde steinig, als sie suchend höher stieg. Sie konnte nur Ausschau halten und warten. Ihr Bein schmerzte; sie hatte keinen Stock und sah nichts, was als Krücke geeignet gewesen wäre. Ihr unteres rechtes Augenlid begann nervös zu zucken und verriet ihre innere Bewegung trotz ihres entstellten, halbgelähmten Gesichts. Die Zeit schien sich zu beschleunigen und vorbei-zuströmen. Sie hatte ihre Erbitterung so lange gezwungen, still und unterirdisch zu brennen, daß sie unter einer grauen Aschenschicht aus Zeit verborgen war. Sie hinkte auf ein Flachdach hinaus und stand unter den trüben Lichtern des Zentrums. Sie konnte Menschen nicht verstehen, die ihre Fenster unversperrt und ohne Vorhänge ließen; draußen gab es nichts zu sehen, und die Öffnungen erlaubten anderen nur, hereinzuspähen. Sie wünschte, sie hätte einen Umhang, der ihrer verkrüppelten Gestalt hätte Würde verleihen können.
    »Wo steckst du, verdammte Alte?«
    Sie bekam keine Anwort.
    »Ich brauche deine Hilfe.« Ihre Stimme trug weit.
    Weiter unten rief jemand, sie solle still sein. Sie stellte sich vor, wie sie das Haus dieses Rufers verwüsten würde, tat aber nichts. Sie bückte sich und massierte das Bein oberhalb des Knies, dann verließ sie das Dach und stieg weiter.
    Die Kuppen der vergeblich zum Höhlendach emporstrebenden Hügel waren keine begehrte

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