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Die Asche der Erde

Titel: Die Asche der Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vonda N. McIntyre
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Wohngegend, denn sie waren mühsam zu erreichen, und der Ausblick war ein Panorama der Monotonie. Zwischen den Gebäuden, die wie Schwalbennester übereinander klebten, verliefen tief eingeschnittene Wege und Treppen. Kiris Knie begann Schmerzbotschaften auszusenden, die bald auf Knöchel und Hüfte übergingen. »Bitte«, keuchte sie kleinlaut. »Dies ist nicht die rechte Zeit, um mich zu bestrafen.«
    »Sieh da, meine skeptische Freundin.«
    Kiri fuhr herum und verdrehte dabei ihr Bein; es knickte unter ihr ein, und sie fiel vornüber. Sie erhob sich auf die Knie, wischte die Hände an ihrem Kleid ab und blickte auf. Schweiß rann ihr übers Gesicht und von den Achselhöhlen die Seiten herunter. Über ihr, mit achtloser Erheiterung auf sie herabblickend, saß die Person, die Kiri gesucht hatte. Die Heilerin war sehr alt und bisweilen von einer übertriebenen Würde; immer wirkte sie geheimnisvoll, und häufig verrückt. »Bleib nicht auf den Knien liegen«, sagte sie. »Du siehst lächerlich aus. Du hättest geheilt werden können, und deine Schwächen beleidigen mich.«
    Kiri rappelte sich errötend auf und stand unbeholfen, das Gewicht auf dem gesunden Bein. Die Miene der Alten wurde zugänglicher. »Nimm wenigstens etwas gegen die Schmerzen. Ich kann dir etwas geben, was dich bewegen würde, an mich zu glauben.«
    »Ich habe diese Narben verdient«, sagte Kiri. »Ich habe sie alle verdient. Würde ich hier sein, wenn ich nicht an dich glaubte?«
    »Vielleicht nicht. Du bist stolzer als die meisten. Verzweiflung führt dich nicht zum Glauben. Du hättest gelebt haben sollen, als ich jung war. Damals waren die Menschen stolzer und beständiger.«
    »Ich glaube, du wirst dringend gebraucht«, sagte Kiri. »Kommst du mit mir?«
    Die alte Frau schüttelte den Kopf und blieb so lange dabei, daß Kiri das Kopfwackeln des Alters zu sehen glaubte; erst verspätet wurde ihr klar, daß ihr Anliegen abgelehnt wurde. »Strafe mich nicht durch sie!« rief sie. »Du wirst Chris zerstören und Mischa mit ihm. Sie haben nichts getan, wodurch sie es verdient hätten.«
    »Ich bin nicht so kleinlich«, sagte die Heilerin.
    »Dann komm!«
    »Nein.«
    »Aber er könnte sterben.«
    »Der Junge stirbt seit langem. Ich wäre hilflos.«
    »Wie kannst du das wissen?«
    »Liebes Kind«, sagte die Heilerin, »meinst du wirklich, meine Informationsquellen seien nicht besser als die deinigen?«
    Kiri schlug den Blick nieder, starrte verdrießlich auf den Weg und verlagerte unter Schmerzen ihr Gewicht. »Dann wirst du ihnen nicht helfen?«
    »Ich werde nicht mit dir kommen.«
    »Ist das deine endgültige Entscheidung?«
    »Das ist meine einzige Entscheidung!«
    Kiri dachte an dies und das, was sie sagen könnte, wußte aber, daß es nichts bewirken würde. Sie ließ den Kopf hängen und machte kehrt, um zurückzugehen.
    »Komm her, du einfältiges Kind!«
    Kiri warf sich herum wie ein angegriffenes Tier. »Spiel nicht mit mir!«
    Die Heilerin stand auf dem Sims über ihr, angetan mit ihrem langen, dunklen Gewand. »Kinder hören nie zu. Ich sagte, ich würde nicht kommen, aber ich sagte nicht, daß ich nicht helfen würde.« Sie warf ein glänzendes Ding herunter; Kiri fing es auf. »Nimm das und geh!«
    Das Ding war eine Kugel, so schwarz, daß sie an ein rundes Loch denken mußte. Sie wärmte Kiris Handfläche. »Ist dies alles, was du ihnen geben kannst?«
    »Das ist ein Leben«, sagte die alte Frau geheimnisvoll. »Und ein schmerzloser Tod.«
    »Ein Leben«, murmelte Kiri. »Ich hatte auf zwei gehofft.« Sie blickte auf, aber die Heilerin war fort.
     
    Übergangslos erwachte Chris aus tiefer Bewußtlosigkeit. Seine Augenlider flatterten, und er spähte wie aus einem Tunnel ängstlich darunter hervor. Mischa spürte seine Verwirrung, seine Desorientierung und berührte seine unverletzte Schulter, um ihm Kontakt mit der Wirklichkeit zu geben. »Du bist in meiner Nische, Chris.«
    Er öffnete den Mund, um zu sprechen, begann jedoch zu husten und konnte, einmal angefangen, nicht wieder aufhören. Der Schaum auf seinen Lippen wurde rosa, und ein wilder Schmerz durchschoß ihn in unkontrollierbaren Krämpfen. Mischa versuchte ihn zu stützen, und endlich ließ der Hustenanfall nach und hörte auf. Chris lag erschöpft, die grünen Augen weit offen. »Ich hätte es mir denken sollen«, sagte er matt, aber mit einem häßlichen Unterton. Er versuchte zu lachen, gab aber sofort wieder auf. »Deine Nische. Ich hätte es mir denken

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