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Die Asche der Erde

Titel: Die Asche der Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vonda N. McIntyre
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hatte sich bereits einen Tag verspätet. Sie überwand sich und klopfte.
    Die Tür wurde geöffnet. Die Zeit ihrer Abwesenheit hatte der geometrischen Symmetrie der Räume nichts anhaben können. Weder hallende Echos noch Kalksteingeruch deuteten darauf hin, daß die Räume in einer Höhle waren; weder Geräusch noch Geruch zeigten an, daß ein Mensch darin lebte. Mischa ging weiter in den benachbarten Raum und sah Subzwei an seinem Datenanschluß sitzen, wo er ihr den Rücken zukehrte und mit der Tastatur spielte, wie ein Komponist auf einer Orgel spielen mag. Er wandte sich nicht um. Sie dachte, daß die Alarmanlage ihm ihr Kommen gemeldet haben mußte und daß sie ihm nicht völlig unwillkommen sein konnte, weil er sie in dem Fall nicht eingelassen hätte. Sie wartete hinter ihm, aber er unterbrach seine Arbeit nicht.
    »Ich bin wieder da.«
    Er zeigte keine Überraschung, reagierte aber auf ihre Worte, indem er ein wenig beiseite rückte, daß Mischa den Bildschirm sehen konnte, der bei ihrem ersten Besuch eine Wiedergabe des Korridors gezeigt hatte. Jetzt schaute ihr eigenes Gesicht heraus, bewegte sich nach links, wenn sie sich nach rechts bewegte, und umgekehrt. Sie hielt nach der Kamera Ausschau, konnte sie aber nicht entdecken.
    »Es ist eine neue«, sagte Subzwei, ohne den Kopf nach ihr zu wenden. »Sie ist sehr klein.« Während er seine Arbeit an der Konsole fortführte, beobachtete er Mischa über den Bildschirm.
    »Wo bist du gewesen?«
    »Im Zentrum.«
    »Jan Hikaru sagte etwas von einer dringenden persönlichen Angelegenheit. Ich hoffe, alles ist in Ordnung.«
    »Eigentlich nicht.«
    »Fein.«
    Sie dachte zuerst, er sei sarkastisch, bis ihr klar wurde, daß er einfach mit einer seiner mechanischen Redensarten geantwortet hatte, ohne auf das zu hören, was sie gesagt hatte. »Ich muß mit Ihnen reden«, sagte sie, ein wenig lauter als notwendig gewesen wäre. Dies war nicht der beste Zeitpunkt, um mit Subzwei über Chris zu sprechen, aber sie scheute sich, die Angelegenheit noch länger hinauszuschieben, nun, da er hier war.
    Er blickte in den Bildschirm, dann über die Schulter zu ihr, als wollte er sich ihres Ausdrucks vergewissern. »Du hast deinen Unterricht verpaßt.«
    »Ich weiß, es ließ sich nicht ändern, das heißt ...«
    »Es ist schon gut«, unterbrach er sie. Er stand auf und ging im Raum auf und ab, während Mischa verwundert zusah. Sein Umhergehen hatte etwas Künstliches; er schien es zum erstenmal auszuprobieren, um zu sehen, wie es zu ihm passe. Mischa hatte Verärgerung, Ironie oder offenen Tadel erwartet. Nichts davon war in ihm zu spüren. Er blieb vor einem Regal stehen, auf dem eine Skulptur mit symmetrischen Flächen in zwei Dimensionen ruhte. Er drehte sie so, daß die vertikale Symmetrie schief stand und viel weniger deutlich wurde, legte die Hände auf dem Rükken zusammen und betrachtete das Ergebnis seines Tuns. »Ich erwarte dich am Morgen.«
    »Am Morgen?«
    »Dann werden wir mit deinem Unterricht beginnen«, sagte er ungeduldig. Er wandte sich vom Regal weg und trat an einen Arbeitstisch, wo er die Papiere durcheinanderwarf. Mischa sah und fühlte die Anspannung in ihm wachsen, als er fortfuhr.
    »Was tun Sie da?«
    Er schoß ihr einen scharfen Blick zu, dann starrte er stirnrunzelnd auf den Arbeitstisch. »Ich habe bemerkt«, sagte er, »daß andere Leute ... nicht wie ich leben.« Er rückte den Stuhl zur Seite, dann verschob er den Arbeitstisch.
    »Die Menschen leben so, wie es ihnen gefällt – wenn sie können.«
    Seine Miene blieb ausdruckslos, doch die Spannung in ihm nahm weiter zu. »Die Leute fühlen sich in meiner Gesellschaft unbehaglich.« Er ging zu seiner Couch und schob sie in eine andere Position.
    »Die Gesellschaft anderer Leute macht Sie unbehaglich.«
    Zwei kleine vertikale Linien furchten die glatte Haut seiner Stirn. Mischa bemerkte, daß sein Gesicht in der kurzen Zeit, seit sie eingetreten war, Züge von Gefühl und Reaktion zu entwickeln begonnen hatte.
    »Das ist wahr.« Er wandte den Kopf, und das schwarze Haar fiel ihm in die Stirn. »Vielleicht sollte ich eine Konzession machen.«
    »Warum?« Er schien ihr völlig frei zu sein, in der beneidenswerten Lage, nach eigenem Gutdünken zu handeln. Obwohl sein Geschmack ziemlich sonderbar war, zwang er ihn keinem auf, wie andere, die als normal galten, es häufig zu tun pflegten.
    Er hob die Brauen, musterte kritisch seinen Arbeitstisch und rückte einen Stapel Papiere zurecht. Er betrachtete

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